95/366: Willi Gföhler: Angstfreie Lebens- und Lernschule

Der Kremser Uhrmachermeister und Jurist Willi Gföhler war von 7. November 1994 bis  14. Jänner 1996 Nationalratsabgeordneter der Grünen. Über seine Arbeit im Grünen Klub als Bildungs-, Jugend- und Kultursprecher unterhielt sich Anni Lesnik für die Zeitschrift „Basis“ (Ausgabe Mai 1995) mit ihm: „Das Ziel ist eine humane, demokratische und angstfreie Lebens- und Lernschule!“


Der niederösterreichische Nationalratsabgeordnete Willi Gföhler über seine ersten 150 Tage im Parlament.
Er ist auch oft mit Mascherl zu sehen, hat aber sonst mit dem neu gekürten ÖVP-Obmann wenig Gemeinsames: der niederösterreichische Abgeordnete Mag. Willi Gföhler. Über seine Arbeit im Grünen Klub sagt er: „Es macht mit jedem Tag mehr Spaß.“ FotografIn nicht angeführt.

BASIS: Grüne Bildungs-, Jugend- und Kulturpolitik war bisher ein parlamentarisches „Stiefkind“. Wie wirst Du Deine Funktion beleben?

GFÖHLER: Derzeit kämpfe ich tatsächlich mit dem Problem, als nahezu „Unbekannter“ diese drei vernachlässigten Bereiche öffentlichkeitswirksam umzusetzen. Erschwert wurde mein parlamentarischer Beginn durch eine sofort einsetzende Schuldebatte. Überdies stand mir, im Gegensatz zu allen anderen Abgeordneten im Grünen Klub, bis 1. Februar kein Fachreferent bzw. Fachreferentin zur Verfügung. Zunächst werden wir Medienkontakte und eine interne Datei für spezifische Aussendungen an Interessierte aufbauen, sowie sämtliche Bundesländer bereisen.

BASIS: Welche Vorstellungen bringst Du ein? Wo siehst Du Deine Arbeitsschwerpunkte?

GFÖHLER: Im Schulbereich ist die für Schulgesetze notwendige Zweidrittelmehrheit zu hinterfragen. Durch eine verstärkte Schulautonomie und die Förderung des nicht-staatlichen Schulwesens unter bestimmten Rahmenbedingungen -allgemeine Zugänglichkeit und Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention – könnte diese ohnehin obsolet werden. Wir Grünen treten für eine gemeinsame Schule der Sechs- bis Fünfzehnjährigen ein, Das heißt: Aufhebung der Trennung von Hauptschulen und AHS, Integration von Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache und Integration behinderter Kinder auch im Sekundarschulbereich. Dies sollte auch zu einer einheitlichen universitären Ausbildung der Lehrkräfte führen. Der noch unter Busek angekündigten Trennung der Lehrpläne von Hauptschulen und AHS muß mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Denn gerade im ländlichen Bereich ist die Hauptschule meist „Gesamtschule“ und so würde diesen Schülern und Schülerinnen der Umstieg in die Oberstufe einer AHS drastisch erschwert werden. Bedenkt man, daß 44 Prozent der Maturanten ehemalige Hauptschüler sind, zeigt sich, wie grotesk Buseks Ankündigungen sind. Der zehnprozentige Selbstbehalt für Schulbücher und Freifahrten wurde selbstverständlich von den Grünen abgelehnt. Sinnvoll wäre eine Schulbuchautonomie. Die Schulen erhielten danach die Beträge angewiesen und könnten selbst entscheiden, welche und wieviele Bücher sie kaufen, bzw. ob sie einen Bücherladen führen wollen. Eingesparte Gelder werden für den Ankauf anderer Unterrichtsmaterialien verwendet. Damit könnte der Wegwerfmentalität entgegengewirkt werden. Weitere Reformbereiche werden sein: Das Recht der Schüler und Schülerinnen auf einen humanen Arbeitsplatz, die Abschaf-fung des leistungsdifferenzierten Unterrichts in Hauptschulen, die Einführung von „team-teaching“, eine Reform der Leistungsbeurteilung, der Ausbau von Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten von Schülern, Eltern und Lehrern, die Trennung der Direktorenfunktionen sowie deren Wahl auf Zeit. Außerdem muß es zu einer Reform des polytechnischen Lehrganges und der Lehrlingsausbildung kommen. Das Ziel ist eine humane, demokratische und angstfreie Lebens- und Lernschule!

BASIS: Und wie sieht es im Bereich der Jugendpolitik aus?

GFÖHLER: Da geht es um eine Senkung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht auf das 15. Lebensjahr. Auf kommunaler
Ebene kann ich mir sogar 14 Jahre vorstellen. Es macht erst recht politikverdrossen, wenn man gar nicht mitbestimmen kann. Bei der immer stärker werdenden Überalterung der Gesellschaft ist dies ein Gebot der Stunde.

BASIS: Und zum Stichwort „rechtsradikale Tendenzen“?

GFÖHLER: Um denen besser entgegenwirken zu können, müßte auch die Errichtung von Jugendzentren verstärkt gefördert werden, Die Regierung tut das genaue Gegenteil. Im Bereich Jugendförderung wurden im Budget 1995 gegenüber 1994 rund 25 Millionen Schilling – das sind 29 Prozent – eingespart. Außerdem muß die Drogenpolitik liberalisiert werden. Vorerst sollten die „weichen“ Drogen freigegeben werden, um eine Entkoppelung vom „harten“ Drogenmarkt zu erwirken. Harte Drogen sollten in der weiteren Folge kontrolliert über Ärzte in speziellen Einrichtungen abgegeben werden. Der Arzt kann den Süchtigen auf „seine“ Droge einstellen, um zu verhindern, daß sich der Abhängige durch Überdosierung oder durch verunreinigten „Stoff“ hinrichtet.

BASIS: Ebenfalls ein grünes „Stiefkind“ war die Kulturpolitik. Wird sich das ändern?

GFÖHLER: Demokratische Kulturpolitik muß möglichst allen Menschen Kunst und Kultur unbeschränkt zugänglich machen. Ihre vordringliche Aufgabe ist es, Freiräume auch außerhalb des Marktes zu schaffen. Während etwa Bundes- und Landestheater finanziell weitgehend abgesichert sind, ist in den weniger institutionalisierten Bereichen der jährliche Kampf um Forderungsmittel oft eine lähmende und erniedrigende Alltäglichkeit, die an der Substanz der eigentlichen künstlerischen oder kulturellen Arbeit zehrt. Längerfristige, verbindliche Zusagen wären budgetär abzusichern, um eine kontinuierliche Entwicklung zu ermöglichen. Zur Qualitätssicherung muß die Vergabe der Subventionen durch Fachbeiräte transparent, begründet und somit nachvollziehbar sein. Im öffentlichen Auftragswesen sind nach Möglichkeit Wettbewerbe durchzuführen, deren jurierte Siegerprojekte – für die Politiker bindend – umgesetzt werden müssen.

BASIS: Wie weit soll sich die Politik überhaupt in kulturelle Belange einmischen?

GFÖHLER: Der positive Beitrag, den die Politik im zeitgenössischen Kunstbereich leisten kann, liegt in der Forderung aller Kräfte bei gleichzeitiger Nichteinmischung auf inhaltlicher Ebene. Ich möchte auch zum oft erhobenen Vorwurf etwas sagen, wonach Kultur eigentlich kein „grünes“ Thema sei oder die Grünen gar kulturfeindlich sind: Das grüne Projekt ist eine kulturelle Bewegung. Wie es nach außen in Erscheinung tritt, ist naturgemäß von seinen Akteuren abhängig. Daran ändert auch ein Kulturprogramm nichts, was immer darin stehen mag. Einzig der Disput darüber kann die notwendige Reflexion ermöglichen.

BASIS: Wie funktioniert konkret die Arbeit in den Ausschüssen? Welche Möglichkeiten hat man da als Grüner?

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Ausschnitt aus dem Interview.

GFÖHLER: Ober die Ausschußarbeit kann ich nur wenig berichten. Ich bin stimmberechtigtes Mitglied im Unterrichtsausschuß und im Kulturausschuß. Der Unterrichtsausschuß hat bis jetzt noch kein einziges Mal getagt. Angesichts der seit Monaten laufenden Schuldiskussion ist dies bezeichnend für die österreichische Realverfassung. Der Kulturausschuß tagte einmal. Auf der Tagesordnung standen eine allgemeine Aussprache und die Beratung über den Kunstbericht 1993, der zur Kenntnis genommen wurde. Der Hauptausschuß, der auch sämtliche ELI-Materien behandelt, habe ich die bildungsrelevanten Teile mitbehandelt und vorbereitete Stellungnahmen eingebracht.

BASIS: Welche Erfahrungen hast Du mit der innerparteilichen Struktur und Kommunikation gemacht? Wie erfol-gen Planungen und Verteilung der Arbeit im Parlamentsklub?

GFÖH LER: Wer nichts fragt, erfährt nichts. Mit der Partei als solcher hatte ich bis jetzt kaum Kontakt. Im Klub sind die Sprecherfunktionen nach den einzelnen Arbeitsbereichen der Ausschüsse auf die Abgeordneten verteilt. Es kommt jedoch durchaus zu Dissonanzen, wenn einzelne Abgeordnete im Arbeitsbereich anderer öffentlichkeitswirksam tätig werden. Mitunter kommt es vor, daß auch der Bundesgeschäftsführer zu Arbeitsbereichen von Abgeordneten Stellung bezieht. Oft entscheidet nur die Schnelligkeit, wer seine Meinung über die APA „rüberbringt“. Eine gewisse Konkurrenz zwischen den Pressebüros von Klub und Partei spielt hier sicher eine Rolle. Die Kommunikation im Klub erfolgt vorwiegend in den Klubsitzungen, die meist am Tag vor dem Plenum stattfinden. Hier wird besprochen, ob und zu welchem Thema eine „dringliche Anfrage“ eingebracht wird, wer zu welchem Tagesordnungspunkt im Plenum spricht. Aber auch Organisatorisches und die allgemeine politische Lage werden erörtert. Zur eingehenden Beratung dienen „Jour fixe“ und Klubklausur. Dazwischen arbeitet jeder Abgeordnete in seinem Bereich mit seinem Team, das aus Fachreferenten und einer Sekretariatskraft besteht.

BASIS: Du bist Jurist. Ist das notwendig oder von Vorteil für Deine Arbeit?

GFÖHLER: Es ist sicher nicht notwendig, Jurist zu sein. Nachteil ist es aber auch keiner.

BASIS: Hast Du das Gefühl, durch die parlamentarische Arbeit und den Termindruck irgendwie „abgehobener“ zu agieren? Wie hältst Du den Kontakt mit Deiner Basis? Ist es überhaupt möglich, den direkten Draht zu Initiativen und den Leuten zu halten?

GFÖHLER: Ich hoffe, daß mich die parlamentarische Arbeit nicht allzusehr verändert. „Abgehoben“ möchte ich weder agieren noch erscheinen, Der Termindruck ist tatsächlich enorm und erfordert sicher eine noch bessere Themenselektion und Prioritätensetzung, In den vergangenen Monaten habe ich – soweit möglich – die Sitzungen der Kremser Grünen wie auch die niederösterreichischen Landesausschuß-Sitzungen besucht. Ebenso habe ich sämtliche mir angebotenen Termine im NÖ-Gemeinderatswahlkampf wahrgenommen und eine Einführung in die NÖ-Gemeindeordnung für die neu gewählten Gemeinderäte abgehalten. Der Kontakt zu den Initiativen und Menschen in Niederösterreich ist mir besonders wichtig.

BASIS: Wie gehst Du mit dem „Öffentlich-Sein“ um? Hat sich Dein persönliches Leben dadurch verändert?

GFÖHLER: Nach sieben Jahren Kommunalpolitik in Krems [Gföhler war Gründer derGrünen Alternative Krems im April 1987, die auf Anhieb drei Mandate erreichte, und Gemeinderat in Krems von 1987–1995 sowie 1997, Anm.] bin ich an zumindest regionales „Öffentlich-Sein“ gewöhnt. Durch meine bundespolitische Unbekanntheit lebe ich in Wien eher anonymer als in Krems. Mein persönliches Leben hat eine gravierende Änderung erfahren, da ich meine Familie kaum sehe. Vielfach bin ich überhaupt von Montag bis Samstag nicht in Krems oder nur kurz einmal dazwischen zu Hause.

 

BASIS: Wie sieht ganz allgemein Deine Bilanz der ersten 150 Parlamentstage aus?

GFÖHLER: Die größte Gefahr für den österreichischen Parlamentarismus sind die permanenten Destabilisierungsversuche der F-Bewegung unter Jörg Haider, die die „Dritte Republik“ ermöglichen sollen. Haider nützt alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel aus, um sich vor allem medial in Szene zu setzen. Aber auch, um den Parlamentarismus als „Quatschbude“ darzustellen. Die Medien spielen leider mit. So gab es bereits vier von der beantragte Sondersitzungen und zahlreiche „dringliche Anfragen“, die zwar aktuelle Themen betrafen, für die das Parlament aber nicht wirklich zuständig war. Kulturpolitische Themen und der „humane“ Strafvollzug eignen sich nach Ansicht der F offenbar am besten, um den Destabilisierungskampf zu führen. Insgesamt ist die Umsetzung grüner Ideen nach wie vor mühsam. Dennoch ist es spannend, im Hohen Haus zu sein. Es macht mir von Tag zu Tag mehr Spaß.

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