175/366: Andreas Wabl: Von Flüssen und Menschen

Umweltschutz oder soziales Engagement? „Der ermüdende Streit über die Prioritätenliste (z.B.: Was ist wichtiger, der Fluß oder das soziale Elend eines Haftentlassenen?) ist rasch entschieden, wenn anstehende Probleme radikal und konsequent diskutiert werden und danach gehandelt wird. Die Frage nach der Verschmutzung eines Flusses ist nicht zu trennen von der Frage des Schicksals jener Menschen, die in der verschmutzenden Fabrik arbeiten“, konstatierte der grüne Nationalratsabgeordnete Andreas Wabl 1998 in der Zeitschrift MOZ.

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Andreas Wabl zeigt 1998 grüne Perspektiven auf.
Andreas Wabl zeigt 1998 grüne Perspektiven auf.

// Statt einer radikalen politischen Diskussion über soziale Gerechtigkeit und Zugängen zu den Ressourcen unserer Erde wird über die schiefe Optik von Renten und Abfertigungen diskutiert. Die Ausbeutung der Natur ist ein fürchterliches Nebenprodukt der sinnlosen Aneignung sämtlicher verfügbarer Güter zugunsten des Einzelindividuums ohne Rücksicht auf die eigene drohende Vernichtung. Das Unverständnis dafür, daß nur eine gemeinsame Lösung aller Völker eine wirkliche Lösung ist, vernebelt uns den Blick und verhindert, aus der augenblicklichen Lähmung auszubrechen. Die qualitativen und quantitativen Sprünge, die sich durch größere und kleinere „Erdbeben“, vor allem im Osten ankündigen, müssen von der Grünbewegung unterstützt und verständlich gemacht werden.

Vielschichtigkeit und Vernetzung unserer Erde

Der historische Zufall, daß die Grünbewegung an bestimmten Krisenpunkten entstanden ist, verpflichtet, die Vielschichtigkeit und Vernetzung unserer Erde sichtbar zu machen. Immer wieder erhebt sich gerade in der Grünbewegung der Streit über die Prioritäten unserers politischen Handelns. Die Frage, wo zuerst anzusetzen ist und wer unsere Verbündeten sind, ist einzig und allein aus dem augenblicklichen Zustand unserer Situation heraus zu beantworten.

Bewahren der Natur im Zusammenhang mit allen anderen gesellschaftlichen Problemen

Der augenblickliche Zustand wird auf Grund der unterschiedlichen Betroffenheit anders interpretiert, doch steht außer Zweifel, daß das ökologische Desaster das Grünthema beherrscht. Wenn auch die Wurzeln der Alternativ- und Grünbewegung vielfältiger und bunter sind (als Beispiele: Emanzipationsbewegung, Friedensbewegung, Bürgerinitiativen, „DritteWelt“-Gruppen usw.), so ist doch in Österreich das konservative Grünthema der häufigste Ausgangspunkt politischen Handelns. Daß das Bewahren der Natur, die uns Menschen umgibt, nur im Zusammenhang mit allen anderen gesellschaftlichen Problemen zu sehen ist, erklärt sich aus dem vernetzten Denken und Handeln, welches notwendigerweise der Eindimensionalität der ökonomisierten politischen Landschaft gegenübergestellt werden muß. Der ermüdende Streit über die Prioritätenliste (z.B.: Was ist wichtiger, der Fluß oder das soziale Elend eines Haftentlassenen?) ist rasch entschieden, wenn anstehende Probleme radikal und konsequent diskutiert werden und danach gehandelt wird.

Die Frage nach der Verschmutzung eines Flusses ist nicht zu trennen von der Frage des Schicksals jener Menschen, die in der verschmutzenden Fabrik arbeiten.

Die konsequente Auseinandersetzung läßt uns zwingenderweise immer wieder auf soziale und andere Probleme stoßen, die uns verdeutlichen, was einige von uns offensichtlich vergessen haben: nämlich, daß wir selbst ein Teil der Natur sind. Hat sich früher die Enteignung und Ausbeutung meist auf die physischen und psychischen Kräfte von Mitmenschen beschränkt, so werden heute ganze Bevölkerungsgruppen ihrer Existenz und Lebensgrundlagen in anderer Art und Weise beraubt. Jetzt wird durch die Zerstörung der Grundelemente unserer Existenz ein riesiger Enteignungsprozeß beschleunigt, der uns buchstäblich „die Luft wegnimmt“, das tägliche Wasser vorenthält und die Lebensmittel in gefährliche, chemische synthetisierte Produkte überführt, die Bauern werden durch die Luftzerstörung ihrer Wälder enteignet. Menschen, die entlang von Transitrouten ihre Häuser oder Wohnungen haben, verlieren ihr Recht auf Erholung und Schlaf. Die Bedrohung unserer Gesundheit wird fahrlässig in Kauf genommen.

Die Verkehrssituation zeigt die Grenzen des Wachstums besonders deutlich.

Da in der EG die politische Dimension fast ausschließlich vom ökonomischen Faktor beherrscht wird, tut sich in manchen Bereichen (beispielsweise in der Verkehrsfrage) ein Konfliktfeld auf, das die Wachstumsfetischisten und verkehrskonzeptlosen Strategen nicht mehr in den Griff bekommen. VerkehrsEGKommissar [Karel] van Miert hat in einem Gespräch mit grünen Abgeordneten offen zugegeben, daß die EG über kein Verkehrskonzept verfügt. Die Gerüchte über die kriegsähnlichen Vorbereitungen der Frächter, die im Kampf gegen das österreichische Nachtfahrverbot ganz Österreich vom Verkehr absperren wollen, einschließlich Blokkade der Eisenbahnschienen, müßten den Verantwortlichen, sofern sie die Dimension erkennen, den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Die Grünen müssen für diese Konfliktsituation vorbereitet sein und mit klaren Konzepten und Strategien die Diskussion bestimmen. Gerade an der Verkehrssituation zeigt sich, daß Nichtintegration der eigentlichen Gesamtkosten in den Preis von Verkehrsmitteln zu schädlichen Verzerrungen im wirtschaftlichen Bereich führen. Die Verzerrung bedingt, daß viele Güter, die nicht beförderungswürdig sind, nur deshalb, weil Luftverschmutzung, Lärm und Bodenversiegelung nichts kosten, nach wie vor quer über den Kontinent transportiert werden. Die sozialen Ungleichheiten, die Schandlöhne für Industrie und Landarbeiter in Südamerika, Asien und anderswo, werden noch potenziert.

Das technisch Machbare aus dem Automobil- und LKW-Sektor wird auf Grund mächtiger Lobbies nach wie vor zögernd gesetzlich durchgesetzt und damit wertvolle Zeit verloren. Längst könnten hervorragende Eisenbahnnetze, über ganz Europa gezogen, das Transitaufkommen zu einem großen Anteil übernehmen. Elektro- und Wasserstoffahrzeuge, seit Jahren serienreif, werden von den schwachen Regierungen nicht zur Kenntnis genommen. Die Symptomkorrekturen verhindern die Eskalation politischer Konflikte, erhöhen aber das Potential für unlösbare Auseinandersetzungen. Sollten wir nach den wichtigen „psychohygienischen“ Untersuchungsausschüssen und bunten Koalitionsspekulationen – ob schwarzblau oder rotgrün oder rotschwarz oder „rosaroter Panther“ – Gelegenheit haben, neben den vielen kleinen und mittelgroßen politischen Konfliktfeldern bei den großen Fragen der Republik mitzumischen, werden wir gezwungen sein, all unsere Kraft, Phantasie, Liebe und politischen Witz, selbstverständlich auch unseren Verstand einzusetzen und endlich mit unseren klaren Konzepten herauszurücken. Der große Wurf wird uns und auch den nachfolgenden Generationen nicht gelingen, aber für viele lebensbestimmende Teilbereiche sollten wir die Wege zeigen und Impulse setzen.//

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