330/366: Was ist des Parlamentes würdig? Zum „Baby im Parlament“

„Das zieht sich ja durch bis heute, dass mich Leute darauf anreden. Auch bei meiner Wahl zum Schulsprecher war das ein Thema. Da hat ein Freund den Slogan kreiert: Michael Heindl – der mit Parlamentserfahrung“, sagte Michael Heindl in einem Interview mit Wolfgang Weisgram für den „Standard“ vom 3. Dezember 2010. Die Rede ist von einem österreichischen „Skandal“: Die burgenländische Abgeordnete Christine Heindl hatte ihr Baby mit zur Angelobung gebracht und dort gestillt. Das erregte Aufsehen in österreichischen und internationalen Medien. Nationalratspräsident Rudolf Pöder (SPÖ) rügte Heindl und kritisierte die für ein Baby schlechte Luft im Plenarsaal (Sitzungsprotokoll):

Bevor ich in die Tagesordnung eingehe, möchte ich ein paar Worte zur Frau Abgeordneten Heindl sagen. Ich sehe, Frau Abgeordnete, daß Sie mit einem Säugling im Sitzungssaal erschienen sind. Ich halte das zunächst einmal für eine unzumutbare Belastung für das Kind (Beifall), da der Raum keine Fenster hat, zur Gänze klimatisiert ist und die Luftqualität bei längerer Sitzungsdauer möglicherweise negative Auswirkungen auf die Ge-sundheit eines Kleinstkindes hat. Es befindet sich ein Arzt im Haus. Ich schlage Ihnen vor, Ihr Kind heute diesem in Obhut zu geben, für weitere Sitzungen aber Vorsorge für eine anderweitige Betreuung zu treffen.

Alexandra Bader, damals Mitglied des Wiener Landesvorstandes, griff das in einem Beitrag für die GAZ auf: „Was des Parlamentes eigentlich würdig sein sollte – nämlich an den Schwächeren, zu denen eben auch Kinder gehören, orientierte Politik -, gilt als „unwürdig“, und was man eigentlich als würdelos empfinden müßte, als mühelos vereinbar mit den heiligen Hallen – nämlich Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, Multifunktionäre, Mehrfachbezüge, Waffenhandel und Skandale aller Art.“


Zum Baby im Parlament.
Zum Baby im Parlament – erschienen in der GAZ vom November 1990, S. 9.

Was ist des Parlamentes würdig?

Zum „Baby im Parlament“

Kein Korruptionsskandal, keine Waffenschieberei – nichts dergleichen wurde bei der Angelobung des neuen Nationalrates am 5. November als „unwürdig“ empfunden. Nein, die Anwesenheit eines Säuglings, winzig und an nichts anderem interessiert, als zu schlafen und zu trinken, sorgte für Aufregung und Schlagzeilen. Als Draufgabe, weil der Kleine Sohn einer grünalternativen Abgeordneten ist, wurden dann die Grünen wieder einmal als unseriös und populistisch dargestellt.

Tatsächlich aber fand erstmals die Situation von Alleinerzieherinnen öffentlich Beachtung: hunderttausende Frauen sind in Österreich zur Gänze, oft auch finanziell, alleine für Kinder verantwortlich. Jede fünfte von ihnen muß mit maximal 7000.-S im Monat auskommen.

Und das in einer Umgebung, die weder besonders frauen- noch kinderfreundlich ist: Frauen leisten 2/3 der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, darunter fast die gesamte unbezahlte Arbeit, und erhalten dafür 1/3 des Einkommens. An die Bedürfnisse von Kindern wird in der Stadt- und Verkehrsplanung und im Wohnbau zuletzt gedacht.

Und hier ergibt sich ein Zusammenhang damit, daß Kinder gleich welchen Alters im Parlament als Fremdkörper empfunden werden (unter 14 Jahren haben sie keinen Zutritt): denn politische Entscheidungen über die Köpfe der Kinder hinweg können leichter getroffen werden, wenn diese überhaupt nicht präsent sein dürfen.

Die Herren Politiker (und es sind zu 85% Männer im Nationalrat) trennen da strikt: Politik ist Politik und scheinbar streng sachlich, und Kinder sind Privatsache (und damit Bereich der Frauen). Wenn die Kinder unter Lärm und Abgasen und unter Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch einseitig im Individualverkehr orientierte Verkehrspolitik leiden, so wird dies nicht in seiner politischen Dimension gesehen.

Im Parlament erwünscht sind nach wie vor nur Männer, die Politik von allen anderen Lebensbereichen abtrennen – und Frauen, die diesen Vorbildern nacheifern, also Familie, Kinder und andere Interessen verleugnen. Eine Frau, die es wagt ihr Kind in die Sitzungen mitzunehmen (statt sich damit abzustrudeln, ständig gute Betreuung zu organisieren), durchbricht damit dieses Muster und provoziert. Was des Parlamentes eigentlich würdig sein sollte – nämlich an den Schwächeren, zu denen eben auch Kinder gehören, orientierte Politik -, gilt als „unwürdig“, und was man eigentlich als würdelos empfinden müßte, als mühelos vereinbar mit den heiligen Hallen – nämlich Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, Multifunktionäre, Mehrfachbezüge, Waffenhandel und Skandale aller Art.

Vielleicht würden die Herren Abgeordneten mehr an die Lebensbedingungen ihrer Mitmenschen denken, wären ihre Kinder manchmal bei Sitzungen anwesend, und würden sie mit ihren Kindern über politische Entscheidungen sprechen.

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