153/366: Gewaltfreier Widerstand gegen Castor – ein Bericht

Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche, Bericht über den Castor-Transport im Frühjahr 1997 (Grünes Archiv)
Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche. Bericht über den Castor-Transport im Frühjahr 1997 (Grünes Archiv)

Die Anti-AKW-Bewegung in Deutschland wurde auch immer wieder von österreichischen Atomkraftgegner_innen unterstützt. Daher sammeln wir im Grünen Archiv auch Materialien aus unserem Nachbarland. Eine besonders interessante Broschüre stammt von der Bürgerrechtsbewegung „Komitee für Grundrechte und Demokratie„, die ihre Beobachtungen bei den Demonstrationen und Blockaden gegen den  dritten „Castor-Transport“ im Jahr 1997 schildert. Castor steht dabei für „cask for storage and transport of radioactive material“, also Behältnis für die Aufbewahrung und den Transport von radioaktivem Material. In solchen Behältern wurde Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben transportiert.

Im Blog bringen wir einige Passagen aus dem Bericht „Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche“, die sich auf die Organisation des gewaltfreien Widerstandes beziehen.


// Innerhalb der Polizei fand eine Diskussion um die Gefährdungen der eingesetzten BeamtInnen durch die Begleitung dieser Transporte statt. Insbesondere Greenpeace hatte über Strahlengefährdungen informiert. Der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei und die „Junge Gruppe“ der Gewerkschaft der Polizei (Bundesgrenzschutz Mitte) sprachen sich deshalb für eine Verschiebung des Castor-Transportes aus.

Die Einsatzleitung der Polizei führte vorab Gespräche mit den Gruppen, die an der Organisation des Protestes beteiligt waren, und beteiligte sich an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen über die bisherigen Erfahrungen des polizeilichen Vorgehens und die geplante Einsatzstruktur. Im Wendland traf sich der Einsatzleiter zu einem Gespräch mit Vertretern der Organisatoren des Protestes.

Das „Bonner Forum BürgerInnen und Polizei“ lud zu einer Podiumsdiskussion mit Vertretern der BI, des Komitees für Grundrechte und Demokratie und der Polizeieinsatzleitung ein. Über die bisherigen Erfahrungen bei den Transporten, die gegenwärtigen Planungen und das Einsatzkonzept der Polizei wurde kontrovers diskutiert. An dieser Veranstaltung nahmen auch viele PolizeibeamtInnen der unterschiedlichen Ebenen teil. Ein Bereitschaftspolizist kritisierte die Vorbereitung der letzten Polizeieinsätze im Wendland, an denen er teilgenommen hatte. Sie seien „heiß gemacht“ und auf „Autonome“ vorbereitet worden. „Doch dann sollte ich auf Menschen einknüppeln, die mir kurz zuvor noch Tee und Kaffee gereicht hatten, den uns die Einsatzleitung nicht gab.“

Anfang diesen Jahres hatte die „Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion – Kurve Wustrow“ international zur Beteiligung an einem „Gorleben Peace Team“ aufgerufen. Anknüpfend an die Erfahrungen der Friedensdienste in gewaltfreier Konfliktbearbeitung sollten diese Erkenntnisse diesmal statt für „den Süden“ für „den Norden“ nutzbar gemacht werden. Ein Team von 6 MenschenrechtsaktivistInnen aus vier Ländern (Ecuador, Nigeria, Mazedonien, USA) traf sich eine gute Woche vor Beginn des Transportes im Wendland und bereitete sich auf die Beobachtung der Vorkommnisse vor. Gorleben International Peace Team (GIPT) war der Name, unter dem sie in diesen Tagen unter internationalen Gesichtspunkten die Vorgänge und Ereignisse beobachteten. […]

Das Camp „X-tausendmal-quer“

Streckenplan für die geplanten Blockaden aus der Broschüre "Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche" (1997)
Streckenplan für die geplanten Blockaden aus der Broschüre „Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche“ (1997)

Das Camp „X-tausendmal-quer“ ist lange und intensiv vorbereitet worden. Eine Gruppe von Menschen aus dem Wendland und aus verschiedenen Städten hat diese Idee entwickelt, verbreitet und die Aktion vorbereitet. Nach dem Castor-Transport 1996 entstand die Frage, wie viele auf der Straße sitzen müßten, um die ganze Strecke zu blockieren, und was die Polizei gegenüber Sitzblockiererinnen machen könne. Da 1996 am Verladekran die Situation oft unübersichtlich war, so daß sich viele nicht trauten, sich tatsächlich auf die Straße zu begeben, wollte diese Gruppe für 1997 eine klar angekündigte und strukturierte Sitzblockade entsprechend den Prinzipien einer gewaltfreien Aktion des Zivilen Ungehorsams am Verladekran vorbereiten. Schon früh wurde bundesweit dazu aufgerufen, entweder eine Selbstverpflichtung oder Solidaritätserklärung zu unterschreiben. Mit der einen verpflichtete man sich, selbst während des Transports dort zu sein und an der Sitzblockade teilzunehmen, mit der andern erkärte man sich solidarisch und rief mit zu dieser Aktion auf. Alle Unterzeichnerinnen wurden namentlich in Anzeigen veröffentlicht. Seit Herbst 1996 wurde intensiv auch bundesweit für diese Aktion geworben. Alle Unterzeichnerinnen und Interessierte erhielten regelmäßig schriftliche Informationen über den aktuellen Stand, den geplanten Ablauf etc.

Es wurde dazu aufgerufen, sich in Gruppen zusammenzufinden und möglichst schon vorher an „Gewaltfreien Trainings“ teilzunehmen. Gleichzeitig wurde angekündigt, daß auch im Camp in den ersten Tagen Trainings angeboten würden. Angekündigt wurde auch, daß Einzelper-sonen dabei unterstützt würden, eine geeignete Gruppe zu finden oder sich neu in einer Gruppe zusammenzuschließen.

Das Camp wurde in der Woche vor dem Transportbeginn mit Eingangstor („Wir sind das Lachen“), Infozelt, Plenumszelt etc. aufgebaut. Am Samstag abend waren schon viele Menschen anwesend. Ein Plenum fand statt, bei dem über Absichten, Vorgehensweisen, Planungen und interne Kommunikations- und Entscheidungsstruktur informiert wurde.

Die gewaltfreie Kommunikations-Struktur – Bezugsgruppen und SprecherInnenrat – war hier selbstverständlich. Daneben gab es auch diejenigen, die das Camp vorbereitet hatten und bestimmte Funktionen übernahmen, überstützt von weiteren TeilnehmerInnen in bestimmten Rollen: PressesprecherInnen, PolizeisprecherInnen, VermittlerInnen zum Ermittlungsausschuß (EA), VermittlerInnen für „Neue“, MegaphonsprecherInnen, OrganisatorInnen. […]

Auch mit der Polizei wurde Kontakt aufgenommen. Am Dienstag kam es zu einem Gespräch in Lüchow, im Beisein eines Vertreters der Pastoren. Dort wurde gesagt, daß gegenüber friedlichen SitzblockiererInnen einfache körperliche Gewalt – Wegtragen – das angemessene Mittel sei. Jedoch wurde darauf verwiesen, daß auch härtere Mittel angekündigt und gegebenenfalls eingesetzt werden. […]

Im Verlauf des Sonntags fand ein großangelegtes Gewaltfreies Training statt. Zunächst sollte nachmittags die Straßen blockiert werden, um einigermaßen ernsthaft gewaltfreies Verhalten einüben zu können. Diese Blockade fand dann aber nicht statt; es blieb bei einem Rollenspiel auf den Feldern. //

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