219/366: Mund aufmachen! Über die leisen Frauen in der Politik

„Allen grünalternativen Frauen in Funktionen, sei es als Bezirksrätinnen, sei es parteiintern, sei eines aus eigener Erfahrung empfohlen: Mund aufmachen, keine Ängste und brüllt sie ruhig an, auch wenn eine andere Kultur angebracht wäre“, schreibt Hedvig-Doris „Hedi“ Spanner-Tomsits in ihrer Rückschau auf drei Jahre als grüne Bezirksrätin in Wien-Josefstadt, erschienen in der Zeitschrift „Brot & Rosen“ 4/1992.

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Als Frau schaffst Du alles.
Als Frau schaffst Du alles.

Grüß Sie Gott, Frau Bezirksrat eh -Rätin!

Gremien, ob offizielle oder private, entpuppen sich in der Regel nach kürzester Zeit als Tummelplätze der Selbstdarstellung, insbesondere männlicher Selbstdarstellung. Oftmals erinnern sie in ihrem Habitus an die Urzeiten der Menschheit oder besser ausgedrückt an die evolutionäre untere Ebene, nämlich der Menschenaffen.

oberlehrerhaft

Natürlich hierarchisch gegliedert, erlebt man die Auftritte der sogenannten offiziellen bzw. inoffiziellen Führer, je nach Gruppenstruktur. Von belehrendem Verhalten gegenüber der eigenen Fraktion als auch gegenüber der Gegnerkollegenschaft: „Schauen’s, Frau Kollegin, des müssens so machen“ bis über’s oberlehrerhafte Abprüfen der Geschäftsordnung: „Des müssens eigentlich schon wissen!“. Die Oberliga der Bezirksführerschaft ist, was natürlich durchaus als politisch-strategisches Denken aufgefaßt werden kann, nicht besonders auskunftsfreudig, allerdings auch dort, wo’s längst überflüssig ist. In mittlerweile altbekannte Angelegenheiten wird endlos hineingeheimst, sodaß es an Magierituale der Medizinmänner von Naturvölkern erinnert.

Durchschaut man mit der Zeit diese Strukturen, erlebt man, daß die Informationsbeschaffung hauptsächlich vom Bezirksvorsteher erfolgt. D.h. in der Praxis weiß der Bezirksvorsteher plus Vertreter soviel wie die kleinen Oppositionsparteien. Ob es an eigener Unfähigkeit liegt oder an tatsächlich behaupteter Uninformiertheit seitens der eigenen Partei, möge dahingestellt sein. Allerdings ist ersichtlich, und wird so im privaten Rahmen gerne bestätigt, daß die eigenen Bezirksgranden seitens des Rathauses nicht sonderlich ernstgenommen werden. Abänderungsvorschläge der Bezirksstrukturen werden aber empört abgewiesen, hätten sie doch zumindest die eigene Existenz betreffend, äußerst nachteilige Konsequenzen für die Bezirkshäuptlinge.

Cover von "Brot & Rosen" 4/1992.
Cover von „Brot & Rosen“ 4/1992.

körperlich anwesend

Ihre männliche Nachfolgerschaft verhält sich brav abwartend mit zeitweiligen Versuchen, die starre Vaterlinie zu durchbrechen, was aber in der Regel mittels herablassenden Bemerkungen und scharfen Blicken blitzartig erledigt wird. Und es gibt viele stumme Bezirksräte, die körperlich anwesend, aber ansonsten nicht existent sind. Wobei aber nicht zu vergessen ist, daß sich auch einige selbsternannte Lobbyisten in den Reihen befinden, die selbst auf eine Gelegenheit lauern.

onkelhaft

Die Nachfolgerschaft männlicher Natur ist in der Regel äußerst kooperativ, um für sich zu punkten. Dahe rist mit diesen äußerst leicht zusammenzuarbeiten. Die selbsternannten Lobbyisten verhalten sich eher distanziert oder onkelhaft: „Naja, Frau Kollegin, wir sind ja alle nur Menschen.“

Die Frauen sind hauptsächlich stumme Wesen, die  einen Eindruck der Unwissenheit vermitteln. Wenn Frauen der anderen Parteien einen internen Parteiaufstieg machen, Klubobfrau der ÖVP beispielsweise, dann sind sie typisch weiblich in der Vermittlerposition oder frau schwächt schärfere Schlagabtäusche ab oder sie verstummt. Interessant ist, dass die Frauen in organisatorischen Fragen kompetenter sind. Wenn Wortmeldungen erfolgen, verhalten sich Frauen wesentlich kürzer und sachlicher und verzichten auf die lästigen rhetorischen Reproduktionsphasen. Nachteilig für die Frauen ist ihr oft zögerliches, leises Sprachorgan, das Unsicherheit vermittelt und die Bereitschaft, sich auch permanent unterbrechen zu lassen.

brüllt sie ruhig an

Allen grünalternativen Frauen in Funktionen, sei es als Bezirksrätinnen, sei es parteiintern, sei eines aus eigener Erfahrung empfohlen: Mund aufmachen, keine Ängste und brüllt sie ruhig an, auch wenn eine andere Kultur angebracht wäre. Nur, die ist noch Utopie. Ein Resümee dreijähriger Bezirksrätinnenerfahrung in der Josefstadt.

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