„Ich gehe in die Hainburger Au, mache die Augen auf, schaue sie an, höre die Vogerln singen und bin auch schon ein Fachmann in der Frage: darf dies zerstört werden, ja oder nein, und meine fachmännische Antwort ist nein“. Der Herausgeber der alternativen Zeitschrift „Wurzelwerk“, Robert Weninger, sprach 1984 mit „Auhirsch“ Günther Nenning (1921-2006) – „kein beinhartes Interview, sondern ein Gespräch unter Gleichgesinnten“ über Hainburg, das Konrad-Lorenz-Volksbegehren und vieles mehr.
Grünspan an Rothirsch
//zitat// Wurzelwerk: Wie wird man Präsident der Journalistengewerkschaft, wie bleibt man es?
Nenning: Ja, g’fangen haben sie mich so: Sie haben gemeint, es kommt ein Depperter aus der Provinz, und mit dem kann man machen, was man will. Die Provinz war Graz und das Jahr war 1960.
Wurzelwerk: Wie bleibt man es?
Nenning: Indem man nicht deppert ist. Das heißt, das Komische ist, daß ein Roter es so lange ist in einer mehrheitlich nicht roten Gewerkschaftssektion. Die Antwort ist: sehr viel Arbeit und Gehirnschmalz. Und das Erfrischende – du mußt im Leben ja auch Freude haben – sind die Kampfwahlen.
„Du mußt im Leben ja auch Freude haben“
Alle 4 Jahre tritt einer gegen mich an. Ein-mal ein Roter, einmal ein Schwarzer, einmal ein Unabhängiger und das 26 Jahre lang. Das hält jung.
Wurzelwerk: Kompliment. Du hast dich in den letzten Jahren eines zunehmenden Grünengagements befleißigt, da war die „Sonne“, da gab es Filme, da gibt es Bücher, dann in zunehmendem Maß in der letzten Zeit – wahrscheinlich auch schon früher, nur bin ich da nicht so informiert – radikalinitiatives Engagement, der Begriff radikal – wir verstehen ihn…
Nenning: Radikal heißt bis hinunter zum Wurzelwerk, radex Wurzel.
Wurzelwerk: Du bist in zunehmendem Maß eine Integrationsfigur, nicht nur parteipolitische Grenzen, verkrustete Strukturen aufbrechend, überschreitend. Das zeigt sich jetzt insbesondere an, kristallisiert sich jetzt vor allem in Hainburg heraus. In Österreich ist es ja bedauerlicherweise immer so, daß sich an einem immer alle aufhängen, überspitzt gesagt. Wie schaut das für dich aus und: Zusatzfrage, warum halten sich die Jusos da heraus?
Nenning: Also: ich bin ein wirklicher Fachmann in diesen Dingen, ich gehe in die Hainburger Au, mache die Augen auf, schaue sie an, höre die Vogerln singen und bin auch schon ein Fachmann in der Frage: darf dies zerstört werden, ja oder nein, und meine fachmännische Antwort ist nein. Das ist sozusagen der Kern der Sache. Wenn es darum geht, dann sind mir halt alle Parteien, Verbände und -ismen wenigar wichtig als das Raufen darum, daß das nicht zerstört wird. Es hat auch eine politische Seite, die Seite ist, daß in immer mehr Gegenden ebensolche erstklassige Fachmänner aufwachsen, die in die Natur hineinschauen und sagen, das darf nicht zerstört werden. Ich arbeite sozusagen an einem Syndikat, GIAP (Grüne innerhalb und außerhalb der Parteien), und in der Hainburgsache oder genauer, – denn das Volksbegehren geht ja über Hainburg hinaus, – in diesem Konrad Lorenz-Volksbegehren kommt das heraus: Schwarze Grüne, rote Grüne, blaue Grüne, Vereinte Grüne, Alternativ-Grüne.
Wurzelwerk: Dürfen wir dir unterstellen, dass du nicht zuletzt deswegen da so massiv und auch so breit reingehst, um einen zunehmenden Einfluß konservativer Kräfte auf immer mehr Bürgerinitiativen – sie haben es ja auch leichter, weil sie in der Opposition sind – ein bißchen zu neutralisieren? Obwohl der Sinowatz und seine Freunde ziemlich angefressen sind auf dich, hilfst Du ihnen eigentlich und die haben es noch nicht einmal bemerkt?
Nenning: Das stimmt – Ja, es kann auch einmal eine kurze Antwort geben, das stimmt!
Wurzelwerk: An diesen ganzen grün-alternativen, ökologischen und ökonomischen Fragen entzünden sich ungeheure Konfliktpotentiale. Um einige anzureißen: hier Arbeiterschaft, da die grün-alternativ-roten „Taugenichtse“, hier Mikrochips, da Arbeitsplätze, hie Gewerkschaften, da völlig neues Bewußtsein, welches unter dem großen Schlagwort „New Age“ bereits einen Markt hat, nicht nur im englischsprachigen Raum.
Nenning: Ich sehe die Front nicht, hie Arbeiterschaft und hie Grüne, ich glaube der Mensch ist grün in seinem Herzen, seinem Bauch, und die Arbeiter sind es auch. Wo man schauen muß, daß man nicht in die falsche Gegend kommt, ist in der Frage der Arbeitsplätze. Dieses Konrad Lorenz Volksbegehren ist ja in Wahrheit ein gewaltiges Arbeitsbeschaffungsprogramm, denn wenn du statt der depperten Großkraftwerke, Großkraftwerke, die einen Haufen Geld kosten und dennoch fast keine Arbeitsplätze bringen, das Geld umschaufelst in eine Gegend, wo die Industrie neue Produkte erzeugen muß, energiesparende Produkte, dezentrale Blockheizkraftwerke und so fort, wenn die Häuser, die wie Emmentaler sind in Bezug auf Wärmedämmung, gedämmt werden, so hast nicht etwa ein paar hundert oder tausend Arbeitsplätze, sondern zehntausende und aberzehntausende auf die Dauer einer ganzen Generation.
„Die Medien sind in den Händen der grünen Kopfarbeiter“
Da ist es ja unmöglich, daß die Arbeiterschaft dagegen ist, da steht nur wer dazwischen, der ihnen was Blödes einredet.
Wurzelwerk: Die Medien und deren Eigentümer?
Nenning: Ist nicht einmal wahr, in dieser Frage sind die Medien in den Händen der grünen Kopfarbeiter, die ja eigentlich alle für das Konrad-Lorenz-Volksbegehren sind. Gut, soweit es die Industriellen-Vereinigung ist, soweit es ein gewisser Flügel der ÖVP und der SPÖ, die den ORF zu dirigieren versuchen mit einigem Erfolg, das sind die [?]derten Kräfte. Die Medienarbeiter, die sind zu 90 % grün.
Wurzelwerk: Grün geworden in den letzten Monaten. Ich neige zur Dokumentation, ich habe mit Entsetzen jahrelang verfolgt, wie die meisten Medien, wenn man einmal von den neuen, jungen Kleinen absieht, und ein paar rühmliche Ausnahmen, wie die sehr an die Ökologiefrage herangegangen sind. Bestenfalls Kosmetik, Auffangen, Reparieren — aber doch niemals von der Wurzel.
„Die Arbeiterschaft, das sind ja immer die Bedienten“
Die Theorie oder Religion der ökologischen Bewegung ist erst in Ausarbeitung. Zuerst hat sich das aufgehängt an Bäumen, die nicht umgeschnitten gehören, oder an Straßen, die nicht gebaut gehören, jetzt erst kommt man darauf, daß es einen ganz neuen Zugang zu den Dingen überhaupt braucht. In der Politik heißt es, daß Natur, dass Schönheit Gegenstände der Politik werden. Und auf den Zug springen natürlich die Arbeiter, die materiell befriedigt sind, wie der Blitz auf, denn wenn es leer ist in der Seele und es wird voll durch eine neue Bewegung, sind die alle begeistert. Die haben ja die materiellen Sorgen nicht, die haben ja nicht die Sorgen um den Arbeitsplatz, in dem Ausmaß. Die Arbeiterschaft, das sind ja immer die Bedienten. Die müssen die dreckigste Arbeit machen, die haben die größte Unsicherheit, und die müssen in Kauf nehmen, daß sie immer auch noch ausgelacht werden, weil sie immer die Letzten sind.
Wurzelwerk: Und sie haben die größte Organisationsdichte, das heißt, wenn die marschieren …
Nenning: Ich wage zu sagen: übermorgen, wieviel immer auch marschieren werden auf dem Heldenplatz (Donnerstag, 17. Mai: Arbeiter-Demo pro Hainburg), zu dem Zeitpunkt wird es schon ein Vielfaches an Stimmen für das Konrad-Lorenz-Volksbegehren geben. Und das ist Teil des Dialoges in der Demokratie.
„Es ist schön und wichtig, daß aus den traditionellen Parteien große Trümmer herausbrechen“
Wurzelwerk: Wir haben vorhin schon kurz parteigrenzenüberschreitende Strukturen, aufbrechende Koalitionen außerparlamentarischer Natur angerissen. Welche Perspektiven hast du da, was das Land Wien, die parlamentarische Ebene betrifft. Der Busek buseriert den Gratz, Sinowatz weist Mock zurück. Kommt eine große Koalition oder kommt eine schwarz-blaue Koalition, was wird passieren?
Nenning: Ich wundere mich selber, wie geschwind für mich die normale Politik uninteressant geworden ist. Ich weiß das nicht, es interessiert mich auch nicht, ich lese keine Zeitung, ich sehe nicht fern und ich höre nicht Radio, ich weiß das nicht. Es ist so schön und wichtig, daß da jetzt eine große Organisation in Gang gekommen ist, und es ist so schön und wichtig, daß aus den traditionellen Parteien große Trümmer herausbrechen und mit dieser Bewegung mitgeschwemmt werden. Das interessiert mich! Ich muß in meinem siebenten Lebensjahrzehnt eine gewisse Lebensökonomie walten lassen. Die Frage, was sich auf dem Sektor politischen Pseudoumwälzungen tut, kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur, daß diese Bewegung solche Umwälzungen bewirken wird. Das ist das, was mich interessiert.
Wurzelwerk: Welche Pläne, Ziele, Hoffnungen hast du für dich persönlich, in was für einer sozialen Situation oder Situierung befindest du dich?
Nenning: Ich führe ein herrliches Leben. Meine materielle Basis, unterhöhle ich systematisch, ich räume mein Konto aus für’s Volksbegehren und bin dadurch um so unbelasteter. Ich verdiene ja neues Geld, und sonst mache ich alles, was schön ist und lasse alles, was nicht schön ist.
Wurzelwerk: Wir danken — nicht nur für dieses Gespräch. //zitatende//