Die Donau fließt nicht durch Transsilvanien. Für das Plakat gegen das Donaukraftwerk im ungarischen Nagymaros und im slowakischen Gabčíkovo wählte die unbekannte Gestalterin dennoch das drastische Bild eines Vampirs. Statt Blut trinkt Duna Dracula aber Flusswasser…
50 Jahre Diskussion
Bereits 1963 vereinbarten Ungarn und die Tschechoslowakei, ein Staustufensystem – je einen Stausee und ein Wasserkraftwerk in Gabčíkovo und im 120 Kilometer entfernten Nagymaros – zu errichten. Der Hintergrund war nicht nur das Gewinnen von Energie, sondern auch die Reduzierung der Hochwassergefahr und die Verbesserung der Schiffbarkeit. 1977 unterzeichneten die beiden Länder einen entsprechenden Staatsvertrag. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten verzögerte sich das Projekt über einige Jahre. Die Ungarische Akademie der Wissenschaften riet aus ökologischen und ökonomischen Projekten vom Vorhaben ab – es war von WasserbauexpertInnen ohne Beiziehung von ÖkologInnen geplant worden. Auf einen Strecke von zweihundert Flusskilometern wären massive Eingriffe mit ungeahnten Auswirkungen auf die Lebensräume von Tieren und Pflanzen, aber auch auf die Trinkwasserversorgung von rund drei Millionen Menschen vorgenommen worden. Österreich befürchtete, dass der Neusiedler See nach einiger Zeit austrocknen könnte und dass die burgenländischen Grundwasserreserven gefährdet seien.
Duna Kör
Ab 1984 machten ungarische Umweltinitiativen die Öffentlichkeit auf die ökologischen Folgen aufmerksam und sammelten 150.000 Unterschriften dagegen. Der ungarische Biologe Janos Vargha, der bereits 1981 in einem Fachartikel über das drohende Umweltdesaster hingewiesen hatte, gründete Duna Kör, den Donaukreis: „Duna Kör was a social innovation as well as a protest movement. Such groups were officially much discouraged at the time it was established and could obtain no formal registration. Moreover, for a certain period no one was permitted to publish anything on the power project. But Duna Kör networked informally and provided a focus for increasing opposition to the project in scientific and professional circles“, heißt es in der Begründung für den Right Livelihood Award, den „alternativen Nobelpreis“, mit dem Vargha 1985 ausgezeichnet wurde.
DOKW: von Hainburg nach Nagymaros
Mittlerweile hatte die österreichische Gesellschaft DOKW das Projekt übernommen – ihr Kraftwerksprojekt in Hainburg war ja erfolgreich verhindert worden. Außerdem sicherten österreichische Banken die Finanzierung, wie ein Abkommen zwischen Ungarn und Österreich im Jahr 1986 festhielt. Österreich sollte dafür mit Bauaufträgen und einen Anteil der gewonnenen Energie belohnt werden. 1988 allerdings beauftragte das ungarische Parlament eine Untersuchung der Auswirkungen auf die Umwelt. 1989 beschloss die ungarische Regierung, die Bauarbeiten auf ungarischer Seite einzustellen. Die Tschechoslowakei bzw. später die Slowakei setzten dagegen die Bauarbeiten unvermittelt fort und mahnten Ungarn, den 1977 unterzeichneten Vertrag einzuhalten. Im Februar 1990 protestierten mehr als sechzigtausend Menschen in Österreich, der Tschechoslowakei und in Ungarn gegen die Weiterführung des Projekts – mit einer Menschenkette von Hainburg bis Komárno.
Verhaftungen und Abschiebungen
1991 setzte die Slowakei eine andere Variante („Variante C“) um, die sich ausschließlich auf slowakischem Territorium befand, allerdings natürlich durch die lokale Umleitung der Donau auch auf die Nachbarländer Einfluss hatte. Gebremst wurde die Fertigstellung durch anhaltende Proteste, die Aaron Schwabach 1996 in einem Artikel beschrieb: „Activists from the Slovak environmentalgroups EUROCHAIN and SZOPK, as well as from the World Wildlife Fund (Austria), Global 2000, the Danube Circle, and other Eastern European environmental organizations continued to interfere with construction activities at Gabcikovo throughout the summer of 1991. Despite numerous arrests, the deportation of many Austrian activists, and some reports of police brutality, construction at Gabcikovo was almost completely halted“. AktivistInnen hatten sich einen Monat lang an einer Pumpe festgekettet und so ihre Verwendung verhindert – allerdings nur vorübergehend. Das Kraftwerk wurde in Betrieb genommen.
Altarme ausgetrocknet
Stefan Klötzli hielt 1993 fest: „Seit der Inbetriebnahme des Dammes sind grosse Mengen an Schnecken, Wasserpflanzen, Kleinorganismen und Fischen verendet, einige der Altarme sind bereits vollständig ausgetrocknet. (…) Unmittelbar bedroht sind 130 Vogelarten (54% aller vorkommenden Arten), 30 Säugetierarten (75%), 8 Reptilienarten (90%), 6 Amphibienarten (55%) und 28 Fischarten (50%). Nach ungarischen Angaben ist auch der Grundwasserspiegel um 1 bis 1,5 m gefallen. Der WWF spricht von einer Absenkung um bis zu 5 m. Viele Brunnen der Donaudörfer auf der Schüttinsel sind ausgetrocknet“.
Vorm Internationalen Gerichtshof
1992 kündigte Ungarn den Vertrag einseitig. 1993 wurde der Internationale Gerichtshof in Den Haag angerufen, der in seinem Urteil 1997 den Vertrag als gültig bezeichnete und die Länder aufforderte, eine umweltfreundlichere Lösung zu finden. 1998 wurde ein Rahmenabkommen vereinbart, die Angelegenheit ist aber bis heute nicht endgültig geklärt und abgeschlossen. Gabčíkovo ist das größte Kraftwerk der Slowakei und erzeugt 11 Prozent des landesweiten Strombedarfs.
Quellen
- Michael Köcher (Hrsg.): Nagymaros. Beiträge von Konrád György, Paul Blau et al. Wien: Edition ÖH / Grüne Bildungswerkstatt 1987 (Klappentext: „Wenn aus Erkenntnis Verantwortung erwächst, so stellt das vorliegende Buch den Versuch dar, durch die Diskussion der verschiedensten Probleme, die mit der Errichtung eines Donaukraftwerks bei Nagymaros verbunden sind, das Bewußtsein einer Mitverantwortung gegenüber ökologischen Eingriffen zu wecken. Als Sammlung von Fachbeiträgen soll dieses Buch all diejenigen Aspekte des Kraftwerksprojektes und deren öffentliche Debatte durch die Repressionen des ungarischen Staatssozialismus gegenüber seiner kritischen Gesellschaft und das Desinteresse österreichischer Kapitalinteressen an den Begleiterscheinungen des Wirtschaftswachstums verhindert wurde“) – im Grünen Archiv verfügbar
- International Court of Justice: Reports of judgments, advisory opinions and orders. Case concerning the Gabcikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia). Judgment of 25 September 1997 (official citation: Gabčikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), Judgment,
I.C.J. Reports 1997) - Stefan Klötzli: Der slowakisch-ungarische Konflikt um das Staustufenprojekt Gabcíkovo. EHT Zürich, Center for Security Studies, 1993 (Abstract: „Ein Beitrag zum Konfliktpotential von Umweltproblemen. Ungarn und die Slowakei befinden sich in einem Konflikt über ein Staustufenprojekt an der Donau, an der Grenze zwischen den beiden Ländern. Die Flussumleitung führt zu wirtschaftlichen Vorteilen auf slowakischer Seite und zu ökologischen und sozialen Nachteilen für die andere Seite, also für Ungarn und vor allem für die ungarische Minderheit in der Slowakei. Der Konflikt wird von beiden Seiten immer mehr in der Nationalitätenfrage instrumentalisiert. Der Beitrag prüft Möglichkeiten des Konfliktmanagements und der friedlichen Streitbeilegung“).
- Construction and operation of variant c of the Gabcíkovo-Nagymaros Project under international law. Legal Study for the World Wide Fund for Nature (WWF) by Rechtsanwalt Dr. Georg M. Berrisch, LL.M., Brussels. WWF Project CS 0002 – Alternatives to Gabcikovo,
October 1992 - Aaron Schwabach: „Diverting the Danube: The Gabcikovo-Nagymaros Dispute and International Freshwater Law„. In: Berkeley Journal of International Law 14 (1996) 2, Article 2
- Martin Kaspar: Erfolgsfaktoren regionaler Umweltprogramme in Mittel- und Osteuropa. Wien: WUV-Univ.-Verlag 1999. Zugl.: Wien, Univ., Diss., 1997
- Csilla Vas: Die Kommunikationsmittel der ökologischen Politik in Ungarn am Beispiel Gabcikovo-Nagymaros. Wien, Univ., Dipl.-Arb., 2009
- Edward Snajdr: Nature protests. The end of ecology in Slovakia. .Seattle: University of Washington Press 2008 (Culture, place, and nature)
- Wikipedia: Kraftwerk Gabčíkovo (Stand: 5. Februar 2016)
- Anna Vari (Hrsg.): Environment and democratic transition. Policy and politics in Central and Eastern Europe. Dordrecht: Kluwer 1993 (Technology, risk, and society, 7)
- Right Livelihood Award: Duna Kör (Stand: 5. April 2016)