213/366: Burgenland: Nationalpark oder Altersheim

Schwerpunkt Jugendpolitik im "Impuls grün".
Schwerpunkt Jugendpolitik im „Impuls grün“.

„Der Franzl, der Seppl und die Maria. Jung sein in der Provinz – tote Hose oder Discofieber? Ein ländliches Sittengemälde“ – Alexandra Grasl und Christina Lammer portraitierten in den 1990ern für das Monatsmagazin „Impuls grün“ Jugendkultur, familiäre Zwänge, berufliche Aussichten im Südburgenland. „Zwei Varianten gibt’s für das Burgenland: Entweder es wird ein Nationalpark oder ein Altersheim“, so das Fazit von Horst Horvath, damals Leiter des Offenen Hauses Oberwart.


Ein sonniger Freitagnachmittag im südburgenländischen Oberwart: Schier endlos schieben sich Autokolonnen über die Wiener Straße. Hunderte Pendlerinnen fahren dem verdienten Wochenende entgegen.

Ein Großteil der Bewohnerinnen des rund 6.300 Seelen zählenden Ortes ist auf einen Broterwerb in Wien oder Graz angewiesen und bevölkert nur an den Wochenenden die burgenländliche Heimat. Am Weekend wird nachgeholt, was die anonyme Stadt vorenthält: In Discos, Wirtshäusern und auf Sportplätzen werden durch die Arbeitswoche> unterbrochene Kontakte wieder aufgenommen und neue geknüpft.

Saturday-Night-Fever in Oberwart

Im Offenen Haus Oberwart, dem OHO, trudeln langsam Gäste ein, um beim ersten Glas das Abendprogramm zu diskutieren. Das vielstrapazierte Saturday-Night-Fever besitzt hier noch Gültigkeit, denn Konzerte und Veranstaltungen finden nur am Wochenende ihr Publikum. Beim Sound heimischer Gruppen wie den Jets, KIX, California „kommen immer der Franzl, der Seppl, der Maier, der Karl und die Maria zusammen“ umschreibt Horst Horvath, Leiter des OHO, die soziale Funktion der Bands, die meistens vor Stammpublikum spielen.

Horst Horvath ist immer noch in der burgenländischen Kulturszene tätig.
Horst Horvath ist immer noch in der burgenländischen Kulturszene tätig.

Traditionelle Werte

Aber auch traditionelle Töne finden Anklang unter Jugendlichen, wenn die Väter ihren Platz in der Blaskapelle weitervererben. Im Vereinswesen marschieren die Söhne in den Fußstapfen der Altvorderen und übernehmen deren Werte, indem sie beispielsweise der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Sportverein beitreten.

Durch das „Auspendeln“, wie es die Einheimischen nennen, fällt das Interesse der jungen Leute am kommunalpolitischen Geschehen marginal aus. Politische Jugendverbände finden in Oberwart keinen Nährboden. „Am Wochenende ist keine Zeit für Politik, nur für die Disco“, bedauert Ludwig Philip vom Stadtamt Oberwart. Wohl gäbe es einige junge Gemeinderäte, doch „wie überall in Österreich, ist die Jugend desinteressiert“, nimmt er die heimische Jugend in Schutz.

Kritisch-alternative Minderheit

Horvath hingegen unterstellt den Gemeindevertreterinnen, die wenigen kritischen Stimmen, darunter un- oder untersubventionierte Kulturinitiativen, ungehört verhallen zu lassen. Sich selbst zählt Horst Horvath zur kritisch-alternativen Minderheit. Der zugewanderte Nordburgenländer hat das OHO gemeinsam mit arbeitslosen Jugendlichen renoviert: Neben dem Kaffeehausbetrieb, Treffpunkt für Teens und Twens, steht nun ein Saal für Lesungen, Theater, Ausstellungen und Konzerte zur Verfügung.

Wenig politischen Hintergrund hat laut Horvath auch das Häuflein Skinheads im Ort. „Das sind eher dumme Buam“ qualifiziert er rechtsextreme Umtriebe als Modeerscheinung und pubertäre Provokationslust ab. Anstatt sie auszugrenzen, können die Skins ihrer Musik und Kultur bei den alle zwei Monate stattfindenden Undergroundparties im OHO huldigen.

AusländerInnenfeindlichkeit

Ernstzunehmender sind da die Ressentiments unter Jugendlichen gegenüber AusländerInnen, wie sie bereits in der Familie geschürt werden. Die Klage „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg und sollen wieder heimfahren“, hört Horst Horvath nur zu häufig. Die vom Innenministerium in Pensionen untergebrachten ausländischen Familien werden von den Gewerbetreibenden im Ort durchaus begrüßt, da sie mittlerweile eine wichtige Einnahmequelle darstellen.

Ghettoisierung von Roma

Michaela Paul, 17jährige OHO-Besucherin, vermißt trotzdem das bunte Nationengemisch, welches das städtische Kulturleben bereichere. „Wer etwas erleben will, muß zwangsläufig weggehen“, träumt sie von einem multikulturellen Wien.
Ein AußenseiterInnendasein, das bereits in der Schule beginnt, führen die Kinder der Roma, die nicht ohne Absicht am Rand des Orts angesiedelt sind. „So besuchte im Bezirk Oberwart erstmals in den 70er Jahren ein Roma eine Hauptschulklasse“, heißt es in einer Broschüre, die anläßlich einer Ausstellung im OHO erschienen ist. Die Ghettoisierung manifestiert sich in der empörenden Tatsache, daß gewisse GastwirtInnen über Roma ein pauschales Lokalverbot verhängt haben – eine Messerstecherei lieferte dafür den willkommenen Vorwand.

Während es in der Schulstadt Oberwart nicht an Ausbildungsmöglichkeiten mangelt, wird den AbsolventInnen von HAK, AHS, Kindergärtnerinnenschule und Knödelakademie [HLA, Anm.] die Suche nach einem adäquaten Arbeitsplatz in der Umgebung nicht leicht gemacht. Die wenigen Textil- und Bekleidungsbetriebe beschäftigen in der Regel ungelernte Arbeiterinnen, die sich zu Niedrigstlöhnen  7.000 Schilling monatlich sind keine Seltenheit verdingen müssen.

Strukturschwache Region

Die Region zählt zu den strukturschwachen Gebieten Österreichs. Rund ein Viertel der Arbeitslosen sind Jugendliche; im gesamten Burgenland liegt die Arbeitslosenrate über dem Bundesdurchschnitt. Kein Wunder, wenn die besseren Verdienstmöglichkeiten der fernen Großstadt die jungen Leute aus dem Südburgenland absaugen.

„Zwei Varianten gibt’s für das Burgenland: Entweder es wird ein Nationalpark oder ein Altersheim“, kommentiert Horvath die Abwanderungsgelüste gutqualifizierter Jugendlicher.

So mancheN aus der Nachbarschaft hat es auf der Suche nach Wohlstand nach Übersee, speziell in die Burgenland-Kolonie Chicago, verschlagen. Die SchülerInnen, die den Wuzzler im Vorraum des OHO umlagern, bestätigen Horvaths Befürchtungen, daß die Jugend das Weite sucht.

Flucht in die Metropole

Michala, die zur Zeit die Kindergärtnerinnenschule besucht, will nicht in der Provinz versauern: „Mich würd’s hier anzipfen. Die, die aus ihrem Leben etwas machen wollen, haben hier keine Zukunft“, kann sie der pannonischen Idylle wenig abgewinnen. Lediglich junge Leute, die einen Bauernhof erben, würden dableiben. Ihre Altersgenossin Margot sekundiert etwas dünkelhaft: „Es kommt natürlich auf den Beruf an, den man einmal ausübt. Für Handwerker gibt’s hier ja Möglichkeiten. Einem Arbeiter fehlt der Anreiz, etwas aus sich zu machen – all seine Freunde sind Hackler und pendeln!“ Für SchülerInnen jedoch sei die Flucht in die Metropole die einzige Perspektive.

Alkohol und Drogen

Eine andere Form der Flucht bietet König Alkohol, der im Weinbaugebiet Oberwart reichlich in jugendliche Kehlen fließt. „Wenn sich die Jugendlichen am Wochenende treffen, wird natürlich gesoffen“, kennt Bezirksinspektor Wurm von der Gendarmerie Oberwart die Trinkgewohnheiten der Halbwüchsigen. Ein gewisser Alkoholspiegel hebt den Mut und leistet wertvolle Dienste beim Anbandeln in der Disco.

Horst Horvath sieht im verbreiteten Alkoholgenuß ein „Grundübel“, denn Wein werde von den Menschen hier weniger als Droge denn als Lebenselexier betrachtet. „Die Kinder der Weinbauern kommen damit von klein auf in Berührung.“ Modetrends brauchen zwar längere Zeit, bis sie aus Wien ins südburgenländische Eck vordringen, doch existiert auch in Oberwart eine Drogenszene. Suchtgift sei in jeglicher Form erhältlich und werde bereits von 15-, 16-jährigen eingenommen, erklärt Oberstleutnant Nikolaus Koch vom Landesgendarmeriekommando in Eisenstadt. Haschisch sei am meisten verbreitet, doch sei vor allem der Mißbrauch von harten Drogen wie Kokain und Heroin im Steigen begriffen. Wenn man vom Drogenkonsum absieht, „sind unsere Jugendlichen brav“, bezeichnet Bezirksinspektor Wurm Verkehrssünden und Lärmbelästigung als häufigste Delikte, die von „den Jungen“ begangen werden.

Brav ist die Oberwarter Jugend nicht nur vor dem Auge des Gesetzes: Die engen Familienbande, die die meisten umschließen, sorgen dafür, daß die Kinder zu unauffälligen und angepaßten Gemeindemitgliedern heranwachsen. Traditionelles Rollenverhalten wird von Generation zu Generation weitervererbt, heute noch sind patriarchale Strukturen tonangebend: „Der Vater hat zu bestimmen“ (Horvath).

Familienoberhaupt

Manche werktags in Wien lebenden Männer verteidigen am Wochenende handfest ihre Stellung als Familienoberhaupt. Ingrid Weber vom Verein Frauen für Frauen Burgenland ist nicht selten mit Mädchen und Frauen konfrontiert, die sich über schlagende Väter und Ehemänner beklagen.

Junge Frauen wachsen meist ohne Aufbegehren in die für sie vorgesehene Rolle der Gattin, Mutter und Dazuverdienerin hinein: „Die meisten heiraten um die 20, weil sie schwanger sind“, beobachtet Frau Klucsarits, ehemals Näherin in einer Textilfabrik, nun Hausfrau und Mutter, in ihrem Dorf im Bezirk Güssing. Heirat eröffnet der Landjugend die Möglichkeit, zu Mitgift und Wohnung zu kommen und aus dem Elternhaus auszubrechen.

Oft aber bedeutet es nur einen Wechsel von einem häuslichen Krisenherd zum anderen. „Die Frauen plagen oft Schuldgefühle, weil ihnen die Verantwortung für das Familienwohl zugeschrieben wird“, berichtet Ingrid Weber. Dem Gefühl, versagt zu haben, folge der heimliche Griff zur Flasche sowie zu Psychopharmaka.

Familiäre Trostlosigkeit in den burgenländischen Hutweiden? Von den Problemseite her betrachtet, stellen sich Halbwüchsigen in Oberwart ähnliche Schwierigkeiten wie ihren Altersgenossinnen in Salzburg oder Wien. Wo liegt dann der Unterschied? Ines Posch,18, glaubt es zu wissen: „Die Stadtjugendlichen sind gewandter, weil sie ganz andere Situationen als wir hier in unserem Alltag erleben.“ Auch sie will Oberwart den Rücken kehren  auf der Suche nach urbaner Gewandtheit und vermeintlichem Lebensstil.

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