Soll die Alternative Liste bei der Nationalratswahl 1983 antreten? Soll sie überhaupt Sitze im Parlament anstreben oder als außerparlamentarische Opposition arbeiten? Diese Frage wurde in der Alternativbewegung intensiv und widersprüchlich diskutiert. – Die Demokratische Initiative Schärding gab am 23. Februar 1982 die folgende Stellungnahme ab, die im Alternativenrundbrief 52A vom 15. März 1982 veröffentlicht wurde.
Da habt Ihr Euch viel vorgenommen!
Beitrag der Demokratischen Initiative Schärding zur Diskussion um eine Kandidatur der Alternativen bei den Nationalratswahlen ’93.
Schärding, 23. Februar 1982
Und wenn wir uns noch so sehr als Kassandra gebärden – ändern könnten wir sicher nichts mehr an der Tatsache, daß bei den Parlamentswahlen ’83 neben den Wallner-, [Elisabeth] Schmitz- usw. -Gruppierungen eine weitere Partei um die alternative Wählergunst buhlen wird. Denn erstens sind wir Schärdinger nun einmal nicht klüger als die offensichtlich große Mehrheit der österr. Alternativbewegung, und zweitens scheint der Zug bereits in voller Fahrt zu sein, mit Zielrichtung Parlament.
Entwicklung hauruckartig
Diesen Eindruck haben wir nach einer recht intensiven Diskussion mit Fritz Zaun und anderen Freunden der AL Baden, und außerdem wird ja das Treffen am 20./21. März in Linz ganz unter diesem Vorzeichen stehen. Den 1. Mai, so rät uns der ARB [Alternativenrundbrief, Anm.] 51a, sollen wir uns nicht für nostalgische Umzüge und Aufmärsche freihalten, sondern für den evt. Gründungskongreß unserer eigenen Partei – der Entwurf eines Entwurfs für das nötige Parteiprogramm liegt bereit. Es kann losgehen! …? Nachstehend einige Einwände gegen eine Kandidatur ’83, liebe Freunde. Wir wollen diese aber nicht als prinzipielle Ablehnung verstanden wissen, sondern mehr als – begründete – Skepsis gegenüber einer Entwicklung, die uns ein bißchen plötzlich und hauruckartig erscheint:
Parteipilze als Spekulationsprojekte
1. Wie groß sind die Chancen, ein Mandat zu erreichen? – Wir wissen alle, daß die obskuren grünen Parteipilze, die da in jüngster Zeit aus dem Boden schießen, reine Spekulationsprojekte sind. Irgendeine Umfrage („Wen würden Sie nächsten Sonntag wählen?“) stellt den Grünen 10% und mehr in Aussicht, und schon gründen irgendwelche Polithyänen eine Partei. So einer ist z.B. der Wallner, der uns, ohne uns zu kennen, den Aufbau seiner oö. Landesorganisation antrug und als Belohnung gleich ein Landtagsmandat versprach – dies nur, weil er gehört.hatte, daß wir mit einem Mandat im Schärdinger Gemeinderat vertreten sind. Ein politischer Hochstapler also, der nicht die geringste Basis hinter sich hat; mag er 1983 kandidieren – 1987 kennt ihn keiner mehr (und das gilt auch für Schmitz, und wie diese Katastrophenleute alle heißen mögen).
Totenschein für etabliertes Parteiensystem
Wie ist das nun mit uns allen? Wir stützen uns, als Basisgruppen, schließlich nicht auf Umfragen. Woher sollen wir aber sonst erfahren, ob mit einem Grundmandat überhaupt gerechnet werden kann? Da gibt es z.B. die Politologen, die dem etablierten Parteiensystem den Totenschein ausstellen – kaum einer wird aber verbindlich sagen, daß dieser mit 1983 zu datieren ist. – Bleibt noch die „Addition“ der einzelnen Gruppenstärken. Wir unterstellen das niemand, aber es wäre furchtbar naiv. Denn bei bundesweiten Parteipräferenzen müssen andere Maßstäbe angelegt werden als bei kommunalen oder schichtenspezifischen. Die DI [Demokratische Initiative] könnte nicht garantieren, daß die, die uns gewählt haben, auch eine bundesweite Alternative Liste den anderen Parteien bevorzugen würden. – Fritz Zaun rechnet mit einem Grundmandat und sogar mit einem zusätzlichen Parlamentssitz. Wir beneiden ihn, bei aller Freundschaft, um seinen Optimismus.
Hier ist auch ein ganz aktuelles Problem miteinzubeziehen: Werden die Wähler zwischen „Die Grünen“, „Grünen Alternativen“ usw. unterscheiden können? (Wir erinnern an Linz: KP [Kommunistische Partei] – KB [Kommunistischer Bund]). Was immer es an kritischem Potential gibt – es wird sich auf die einander konkurrierenden „Grünen“ verteilen. Die Zeit für eine Aufklärung der Wähler wäre mit einem Jahr zu kurz angesetzt.
2. Durchbrechung der Isolation durch gemeinsame Partei: Die Welt wird ja nicht untergehen, wenn der Sprung ins Parlament nicht auf Anhieb gelingt, mag eingewendet werden. Die gruppenverbindende Funktion wird hervorgehoben, die Isolation lokaler Gruppen aufgehoben. – Wir glauben durchaus: kommt es zum Kandidaturbeschluß, so werden in (fast) jedem Nest in Österreich Leute bereit sein, ein bißchen mitzuhelfen beim Wahlkampf, es werden viele neue Gruppen entstehen. Aber, das sei auch gesagt, wenn das Mandat nicht erreicht wird, wird der Schaden groß sein. Selbst für relativ gefestigte Gruppen.
Wahlkampf auf Kosten der regionalen Arbeit
Angenommen, die DI engagiert sich voll im Wahlkampf, setzt alle ihre Kräfte ein. Das kann aber nur auf Kosten unserer regionalen Arbeit geschehen – kommt es zur Niederlage, so werden wir sie, mit einigem Bauchweh, überleben. Bei vielen Gruppen aber, die voll und ganz für diese Sache aufgehen, ist das nicht so sicher. – Überhaupt gibt es auch andere Möglichkeiten, Isolation zu durchbrechen oder zu verhindern, als ausgerechnet Nationalratswahlen, z.B. die Forcierung der Vernetzung alternativer Gruppen und Projekte; z.B. auch die Gründung einer großen Dachorganisation (mit gut funktionierenden Unterorganisationen, versteht sich!). Auf keinen Fall aber dürfte eine Kandidatur als Kitt dienen, der eine funktionierende, und vor allem: gewachsene Kommunikation und Koordination zwischen den Gruppen künstlich schafft.
Imperatives Mandat
3. Wie erfolgt die Willensbildung? – Das ist ja wohl der Kernpunkt der ganzen Parteigründung und Kandidatur: Wie kommt der Wille von der Basis, von ganz unten also, nach ganz oben, ins Parlament? Das imperative Mandat – die jederzeitige Abberufung eines Abgeordneten – ist in unserer Verfassung bekanntlich nicht vorgesehen. Okay, können wir sagen, wär ja noch schöner, wenn das Formale ein Hindernis wäre; die Leute, die wir da hineinschicken, die werden, sollten sie versagen, freiwillig gehen und werden natürlich auch ständig den Kontakt zu ihrer Basis suchen.
Aber es geht eben nicht um den guten Willen (den wir wohl alle haben), es geht um die organisatorischen Voraussetzungen, die in formaler Hinsicht die Partizipation der Basis sicherstellen. Um das einmal ganz einfach auszudrücken: Wenn eine(r) motiviert werden soll zu aktiver Mitarbeit (denn wir wollen ja keine Parteileichenbasis), dann muß für klar definierte Partizipationsmöglichkeiten gesorgt worden: Rechte, die nicht nur auf dem Papier (und sei es Recycling-Papier) stehen, sondern tatsächlich genützt wurden können.
Apparat erforderlich
Unsere Befürchtung: Kommt es jetzt zu so weitreichenden Entschlüssen wie Parteigründung und Kandidatur, und kommt es – im günstigsten Fall – zur Präsenz dieser Partei im Nationalrat, dann boginnen die Probleme erst. Die etablierten Parteien, das spüren auch wir im kommunalen Bereich, verfügen über einen Apparat, der sämtliche Ebenen des politischen Bereichs abdeckt (das heißt noch lange nicht, daß dieser auch demokratisch ist) – wir werden das nicht, können einen solchen gar nicht haben; weil wir einen solchen traditionellen nicht wollen und einen „alternativen“ in so kurzer Zeit (1 Jahr!) nicht schaffen könnten. – Wir haben Erfahrungen auf oö. Ebene: Versuche, eine Art landesweite Plattform zu schaffen, sind bislang stets mißlungen, es gab z.B. divergierende Vorstellungen zwischen Stadt (Linz) und Land (dem Rest).
Putschismus
Wir glauben, daß die organisatorischen Schwächen zwangsläufig eine Entwicklung fördern werden, mit der wir uns ganz und gar nicht anfreunden: einem „Putschismus“ im Mittelbereich. Damit meinen wir folgendes: Zwischen „oben“ und „unten“ entsteht ein Vakuum, vor allem auf Ebene der Landeshauptstädte, wo die organisatorischen Schwachstellen dann von Leuten ausgefüllt werden, die wahrlich keine „Basisvertreter“ sind. Und wir sind nun einmal so selbstbewußt, daß wir nie und nimmer irgendjemand als „Koordinator“ oder sonstwas akzeptieren würden – die Diffusität der vielen einzelnen Gruppen würde aber wahrscheinlich zu solchen Schwierigkeiten führen. (Wir wollen damit nicht sagen, daß einer erst einmal Häuptling in irgendeinem Nest sein muß, damit er Funktionen übernehmen kann; es gibt aber eben doch eine Reihe von Leuten, die – angenommen, arbeitslos in der Anti-AKW-Bewegung – plötzlich als federführend in anderen Komitees auftauchen, niemals aber als Repräsentanten von Basisgruppen.)
Was soll mit Mandat erreicht werden?
Ja, wir haben in aller Kürze nur einige, wenige Kritikpunkte vorbringen können. Es gäbe deren noch etliche mehr: Was ist mit den kritischen SP-Leuten, denen die Kooperation mit Alternativen erschwert wird? (Die DI hat seit jeher ein ausgezeichnetes Verhältnis zur SJ und zu linken SPlern.) Was soll/kann mit einem Nationalratsmandat überhaupt erreicht werden? Ist das Eintreten für eine Kandidatur nicht vielen eine (ohne daß es ihnen bewußt wird) Möglichkeit, das eigene Versagen im unmittelbaren Bereich mit Hilfe eines abstrahierten Zieles zu kompensieren? usw.
Euphorie aus überspielter Ohnmacht
Es ist offensichtlich, wir haben nur die negativen Seiten beleuchtet. Bewußt. Denn wir haben ein bißchen das Gefühl, daß sich da eine Euphorie anbahnt, die weniger aus einem gesamtgesellschaftlichen Kraftbewußtsein, sondern eher im Gegenteil aus überspielter Ohnmacht kommt. Keiner gibt es zu, aber doch übt für jeden die Perspektive, in das Parlament einzuziehen, eine eminent starke Faszination aus. Das kann bis zur Verselbständigung der Idee führen; 1983: Prüfstein für die Veränderung dieser Gesellschaft? Naja.
interessiert an loser Dachorganisation
Jetzt schaut’s natürlich so aus, als wäre diese DI aus Schärding gegen alles und für nichts. So ist es natürlich nicht. Also nun alles Positiv-Konstruktive: Die DI will eine Einigung aller irgendwo im schwerelosen Raum schwebenden Gruppen. Sie ist unter Umständen auch an einer Parteigründung interessiert (obwohl wir eigentlich mehr an einer losen Dachorganisation — vorläufig — interessiert wären). Was wir im Gemeindebereich selbst praktizieren — die Teilnahme an repräsentativen Gremien —, wollen wir auch bundesweit verwirklicht sehen: hinein ins Parlament! Aber eben alles zu seiner Zeit. Es gibt keine ernsthafte Begründung, warum die gesellschaftliche Veränderung plötzlich von einem Frühlings- oder Herbstsonntag des Jahres 1983 abhängen soll.
Wer da glaubt, wir dürfen die historische Chance nicht verpassen, der übertreibt. Wir werden weiter arbeiten müssen. An der Basis.
Und im Grunde haben wir mehr Zeit, als die Hektik einer Kandidatur es vermuten läßt. Denn unser Handeln und Streben setzt beim Bewußtsein des einzelnen an.
Verschiebung der Kandidatur am liebsten
Dies ist also unser Einstieg in die zur Zeit laufende Diskussion. Zum Frühlingsanfang — symbolträchtig! — werden wir uns in Linz treffen, und dann möchten wir auch gern unsere Kritik diskutiert sehen. Wir schicken eines voraus: Wir sind nicht Anhänger der Reinheit einer Lehre. Wir werden uns in Linz — sofern es nicht allzu chaotisch wird — an den Mehrheiten orientieren und auf keinen Fall einen Partout-Standpunkt vertreten. Am liebsten wäre uns natürlich schon eine Verschiebung der Kandidatur aufs Nächstemal. Aber wir akzeptieren auch anderes. Wir sind solidarisch.
Es grüßt Euch alle f.d. DI Ferdinand Karlhofer
Das Wahlergebnis
Zwei grüne bzw. alternative Parteien traten bei der Nationalratswahl 1983 an: Die „Vereinten Grünen Österreichs – Liste Tollmann“ (VGÖ) erreichten 93.798 Stimmen, also 2,0 Prozent, die Alternative Liste Österreichs (ALÖ) erreichte 65.816 Stimmen, also 1,4 Prozent. Damit versäumten beide den Einzug.
Die Demokratische Initiative Schärding
Die Demokratische Initiative Schärding hat bereits 1979 bei der Gemeinderatswahl kandidiert – als eine von drei alternativen Gruppierungen in ganz Oberösterreich. Die Sozialarbeiterin, Juristin und Psychotherapeutin Maria Schwarz-Schlöglmann erinnert sich im Gespräch mit Uschi Christl:
Als ich 14 war, gab es im Bezirk Schärding eine demokratische Initiative, das waren junge Menschen, vor allem Künstler, die sich auf einem Bauernhof im Dorf Einburg zu einer Kommune zusammengeschlossen hatten. Auf der „Einburg“ gab es tolle Feste und ich bin immer wieder von zu Hause unerlaubt weggeblieben und habe dort einige Tage verbracht. Da gab es den Anspruch, dass alle irgendwie politisch arbeiteten, bei den Treffen und bei der Kommunenzeitschrift „Der Landbote“. Ich war damals noch viel zu jung, wollte aber unbedingt dabei sein. […] Es war ein stressfreier Ort, an dem man miteinander Musik machte und diskutierte. Die Menschen dort waren beeindruckend und haben auch später Interessantes gemacht […]. für meine Persönlichkeitsentwicklung war die Anerkennung, das Geschätzt-werden von diesen Menschen sehr wichtig. Das hat mich beflügelt und bestärkte mich darin, etwas anders zu machen, als ich es daheim gesehen hatte“.
Zum Weiterlesen
- Portrait einer bewegenden Partei. Die Grünen Oberösterreich von Marco Vanek
- Uschi Christl: Maria Schwarz-Schlöglmann (aus dem Projekt „Frauenleben“)