Grünbewegte der ersten Stunden können sich sicher an ihn erinnern: den Solidaritätskaffee. Menschen aus den alternativen Bewegungen, vor allem die Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen, wollten mit dem Kauf des Kaffees den Freiheitskampf der Bevölkerung von Nicaragua unterstützen. Das Problem: Der Solikaffee oder Nicakaffee war, um es höflich zu formulieren, keine kulinarische Offenbarung.
Die Hamburger Journalistin Gerlinde Geffers hat nachgefragt, „warum der Nicakaffee scheußlich schmeckte“, zwei Mitarbeiter der GEPA als Vorreiter auf dem Gebiet des fairen Handels haben geantwortet. Ihren Beitrag hat uns Geffers freundlicherweise für unser Blog zur Verfügung gestellt.
Warum der Nicakaffee scheußlich schmeckte
Zwei GEPA-Mitarbeiter können das erklären. Gerd Nickoleit importierte 1979 den ersten Soli-Kaffee aus Nicaragua. Hans Jürgen Wozniak berät Kleinbauern, damit sie besseren Kaffee produzieren.
Nica-Kaffee hat scheußlich geschmeckt. Warum haben die Leute ihn trotzdem getrunken?
Gerd Nickoleit: Es ging ja nicht um den Kaffee, es ging um Solidarität mit Nicaragua. Es gab eine große Bewegung in der alternativen Szene, die sagte damals: Wir müssen das Volk von Nicaragua in seinem Kampf gegen Somoza unterstützen. Nach El Triumpho, der Revolution im Juli 1979, wollten die Leute den Aufbau unterstützen. Einige sind sogar nach Nicaragua gereist, um den Leuten bei der Kaffeeernte zu helfen – ob das eine Hilfe war, ist eine andere Sache. Auf jeden Fall ging es um Solidarität mit einem Land, das aus eigener Kraft einen Weg gegen die USA eingeschlagen hatte und daraufhin von den USA boykottiert wurde. Zur Solidarität gehörte es daher, Produkte aus Nicaragua zu konsumieren, darunter Kaffee – eines der wichtigsten Produkte.
Wie haben Sie die Kontakte geknüpft?
Gerd Nickoleit: Anfangs haben wir uns an die staatliche Organisation Encafe gewandt, die nach der Revolution den Kaffeevertrieb verstaatlicht hatte. Ich bin im September nach der Revolution nach Nicaragua gereist und habe dort mit Ernesto Cardenal gesprochen. Der hat mir den Kontakt zu Encafe verschafft.
War Ihnen damals klar, wie schlecht der Kaffee schmeckte?
Gerd Nickoleit: Ich war überhaupt kein Kaffeeexperte. Heute weiß ich: Kaffee aus Nicaragua ist kein schlechter Kaffee, er hat nur einen hohen Säuregehalt. Für einen guten Kaffee wird er deshalb üblicherweise mit anderen Kaffees gemischt. Aber es ging ja um die Unterstützung von Nicaragua, deshalb konnte er nicht gemischt werden. Hinzu kam, dass aus Nicaragua anscheinend nach der Revolution alle Kaffeeexperten ins Ausland abgewandert waren und die Leute bei Encafe auch keine Fachleute waren. Wir hatten also auf beiden Seiten mehr guten Willen als Fachkenntnisse.
Sie haben erst Anfang der 90er Jahre angefangen, an der Qualität zu arbeiten. Warum so spät?
Gerd Nickoleit: Lange Zeit ging es gut, wir sahen überhaupt kein Problem. Der Handel der Gepa war eine Solidaritäts- und Bildungsgeschichte. Die Story vom Nica-Kaffee ist da sehr charakteristisch. Vor lauter Solidarität haben wir gar keine fachliche Rückmeldung gegeben. So bekamen wir auch nicht immer die beste Qualität. Die ist anscheinend nach Russland verschickt und von dort auf dem Weltmarkt verscheuert worden. So wurde Schritt für Schritt die Qualität des Kaffees auch noch schlechter – unabhängig vom hohen Säuregehalt. Schließlich sind bei der Verarbeitung noch zusätzliche Fehler gemacht worden. Hier kam auf einmal Kaffee mit überfermentierten Bohnen an. Der hat gestunken. Der war wirklich nicht mehr zu trinken. Ich habe dann einen Brief an Encafe geschrieben und gefragt: Leute, wie könnt ihr an uns, die wir doch so solidarisch sind, so einen Mistkaffee liefern? Die Antwort war: An wen denn sonst?
Das war zuviel.
Gerd Nickoleit: Genau. Bis dahin hatten wir uns auf der Solidaritätsschiene über Wasser gehalten. Aber dieser schlechte Kaffee hatte das Image der Gepa praktisch kaputt gemacht. Das war der Punkt, an dem die Gepa einen Kaffeeexperten eingestellt hat. Wir haben Druck gemacht und haben uns selbst erheblich verändert. Wir haben gelernt, dass Entwicklung auch etwas mit permanenter Verbesserung zu tun hat. Ohne Qualitätsprodukte haben weder die Kaffeebauern noch wir hier eine Chance. So sind wir umgeschwenkt vom alternativen Kaffee zum fairen Kaffee und zu Qualitätsprodukten.
Hans Jürgen Wozniak, damit war ihre Stunde gekommen. Wie haben Sie es geschafft, bitteren Solikaffee zu hochgelobtem Qualitätskaffee zu entwickeln?
Hans Jürgen Wozniak: Das war ein Lernprozess. Am Anfang wussten die Kaffeebauern nicht, was der hiesige Markt will. Und wir in Europa wussten nicht, was die Kaffeebauern können. Ich bin Agraringenieur und hatte damals bereits fünf Jahre lang Kleinbauern im Kaffeeanbau beraten – drei Jahre mit dem Deutschen Entwicklungsdienst in Bolivien und zwei Jahre auf einer privaten Kaffeeplantage in Mexiko. Ich wusste, was man den Kaffeebauern abverlangen kann.
Was wünscht der hiesige Markt?
Hans Jürgen Wozniak: Gut aufbereiteten Kaffee. Ein Kaffee ist richtig gut, wenn er vollaromatisch schmeckt, ohne dass er bitter und sauer ist. Daher war unser oberstes Primat eine saubere Tasse. Im Kaffee dürfen keine überfermentierten, schwarzen oder sauren Bohnen sein. Also haben wir eine maximale Defektzahl festgelegt. So haben wir jede einzelne Genossenschaft angeleitet, uns den Kaffee zu liefern, der für den Markt am besten war. Das hat etwa zwei Jahre gedauert.
Was musste ein Kleinbauer lernen?
Hans Jürgen Wozniak: Er musste sorgfältiger arbeiten. Das fängt bei der Ernte an. Er darf nur reife Kirschen pflücken, denn frühreife oder unreife Kirschen schlagen in die Tasse durch. Die reifen Kirschen muss der Kaffeebauer gleich verarbeiten. Er darf sie nicht ein paar Tage vor sich hin modern lassen. Das Fruchtfleisch muss also abgeschält werden. Dann werden die Kaffeebohnen fermentiert. Das ist ein Gärungsprozess. Er läuft in einer Wanne unter Luftabschluss ab und wird von kaffeeeigenen Enzymen gesteuert. So löst sich der zuckerhaltige Schleim, der die Bohnen umhüllt. Das ist nötig, damit der Kaffee trocknen kann. Wenn der Bauern nicht aufpasst, hat er überfermentierte Bohnen. Daraus entstehen Stinkerbohnen, ranzige Bohnen. Die können den ganzen Kaffee versauen. Um die Gärung zu stoppen, wird der Kaffee gewaschen. Anschließend wird er getrocknet – in der Regel auf Zementflächen. Das kann 4,5,6,7, ja bis zu 10 Tage dauern. Abends wird der Kaffee zusammengeschoben und wegen der Nachtfeuchtigkeit abgedeckt, tagsüber wird er jede halbe Stunde bewegt, so dass nicht nur die obere Fläche trocknet. Dann liegt er als Hornschale vor, als sogenannter Pergamino-Kaffee. Bis zu diesem Stadium muss der Bauer auf die Qualität achten.
Den Rest macht die Genossenschaft…
Hans Jürgen Wozniak: Ja, die Genossenschaft schält zuerst die Hornschale ab. Dann werden die Defektbohnen ausgelesen. Das sind schwarze Bohnen, Bruchbohnen, überfermentierte Bohnen, unreife Bohnen. Die sind farblich unterschiedlich und werden per Hand verlesen – meistens von Frauen. Zum Schluss sortieren sie die Bohnen nach Größen. Auch das ist wichtig. Wenn sie eine Mischung aus kleinen und großen Bohnen haben, dann verbrennen beim Rösten die kleinen, oder die großen sind nicht ganz fertig geröstet.
Das klingt sehr aufwändig. Wie haben Sie die Genossenschaft davon überzeugt?
Hans Jürgen Wozniak: Damals lagen ja die Preise bei 70 Dollar pro 100 Pfund. Die Gepa hat 132 Dollar bezahlt, also fast das Doppelte. Dann haben wir gesagt: Für so einen Preis können wir auch eine Mindestqualität erwarten. Und diesen Standard haben wir relativ hoch gesetzt. Es war natürlich schwierig, da die Kooperativen an Solidaritätsleistungen gewöhnt waren. Sie haben erst Jahre später gemerkt, dass ihr eigenes Produkt auf einmal marktfähig war.
Heißt das, die Genossenschaften haben ihren Kaffee auch an andere verkauft?
Hans Jürgen Wozniak: Das war eigentlich der Knackpunkt der Geschichte. Wir konnten sowieso nicht die ganze Produktion aufkaufen. Wir hatten nur den begrenzten Markt über die Weltläden. Ich erinnere mich, wie ich mit Vertretern von Genossenschaften in Hamburg bei einem ganz normalen Importeur war. Der hat ihnen gesagt: Für Ihren Kaffee zahle ich nur so und so viel. Die Bauernvertreter waren stumm und haben keinen Ton gesagt. Vier Jahre später war ich mit den selben Leuten bei Importeuren. Da sind die Bauern schon ganz anders aufgetreten, sie haben gesagt: Dafür verkaufen wir nicht. Wir wissen heute, dass unser Produkt mehr wert ist. – Die Bauern haben ihren eigenen Preis genannt.
Haben sie ihn bekommen?
Hans Jürgen Wozniak: Sie haben ihn bekommen. Weil das Produkt nun wirklich marktfähig war. Es war ein richtiger Hochqualitätskaffee von der Aufbereitung und hin zur Tassenqualität.
Vom Solikaffee zum fair gehandelten Hochqualitätskaffee. Ist das auch ein politischer Schwenk?
Gerd Nickoleit: Es ist auch ein politischer Schwenk. Anfangs gab es die Soliprodukte. Kaffee aus Nicaragua, Kaffee aus Tanzania, um Präsident Nyerere zu unterstützen, später Wein aus Algerien, dann Kerzen aus Südafrika. Die haben getropft, aber man hat sie gekauft, um eine Gruppe in Soweto zu unterstützen. Bei den Soliprodukten ging es um alternativen Handel – um ein Konzept des Handels mit sozialen und politischen Hintergründen. Das war durchaus erfolgreich. Wir aber wollten mit diesem Ansatz in die Breite gehen. Uns ging es dann weniger um politische Alternativen in einzelnen Ländern, sondern generell um Handel unter besseren Bedingungen. Unserer Meinung nach kann man das marktwirtschaftliche System nicht kippen. Aber man kann innerhalb des Systems wichtige Veränderungen herbeiführen. Unsere Grundziele und unsere Zielgruppe der kleinen Produzenten sind die gleichen geblieben. Aber heute wollen wir mit ganz handfesten Regeln dafür sorgen, dass bessere Bedingungen und ein besserer Preis eingeführt werden. Wir wollen fairen Handel.
Bleiben wir beim Kaffee. Warum treiben Sie Handel statt einfach politisch Druck auf die großen Röster auszuüben. Die beginnen doch mittlerweile eigene Nachhaltigkeitsprojekte zu initiieren.
Hans Jürgen Wozniak: Ich bin misstrauisch, wenn es um die Nachhaltigkeits- und Bildungsprojekte der großen Röster geht. Die Qualitätsverbesserung kommt ja in erster Linie dem Röster zugute und nicht dem Bauern. Der Bauern muss mehr leisten und soll die Qualität verbessern, aber er kriegt dafür nicht mehr Geld. Da ist ein Widerspruch. Wenn ich vom Bauern mehr verlange, muss ich auch mehr bezahlen.
Gerd Nickoleit: Alternativer Handel hat immer zwei Aspekte gehabt. Das eine ist, Missstände anzuprangern und das andere, zu zeigen, dass es Alternativen zum regulären Handel gibt. Der alternative Handel hat gezeigt, dass er Kunden mobilisieren kann. Das ist eine viel stärkere Herausforderung für Tchibo und Co. Das gilt besonders beim Kaffee, der ja einen extremen Preisverfall erlebt hat. Wir haben gezeigt, dass Kunden bereit sind, einen höheren Preis zu zahlen – trotz der Geiz-ist-Geil-Mentalität. Die Idee eines Mindestpreises und eines zusätzlichen Entwicklungszuschlages ist bei den Kunden angekommen. So haben wir die Idee eines fairen Kaffeepreises in die Diskussion gebracht. Das ist eine politische Erfolgsgeschichte geworden.
Gerlinde Geffers