Heute vor dreißig Jahren, am 4. Mai 1986, kandidierte Freda Meissner-Blau für das Amt der Bundespräsidentin – als zweite Frau nach Ludovica Hainisch-Marquet im Jahr 1951. Jahrelange Warnungen der Grünen wurden durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl Ende April 1986 bestätigt, und die Kandidatur der aus der SPÖ ausgetretenen, durch die Hainburg-Ereignisse prominent gewordenen Meissner-Blau bewirkte eine grüne Mobilisierung. Motto: „Beteiligen statt schlucken“.
Im ersten Wahlgang am 4. Mai 1986 erreichte Meissner-Blau 5,50% der Stimmen, wobei sie in Vorarlberg mit 10% und in Wien mit 8,2% am besten abschnitt. Dadurch wurde ein zweiter Wahlgang erzwungen, da der umstrittene ÖVP-Kandidat Kurt Waldheim mit 49,65% keine absolute Mehrheit erhielt. Dies gelang ihm erst im zweiten Wahlgang am 8. Juni mit 53,91% gegen den SPÖ-Kandidaten Kurt Steyrer. Daraufhin trat Bundeskanzler Fred Sinowatz zurück und wurde vom bisherigen Finanzminister Franz Vranitzky abgelöst.
In diesem Flugblatt der Grünalternativen Bürgerliste Melk erklärt Freda Meissner-Blau, warum sie für das Amt der Bundespräsidentin kandidiert:
//zitat// Damit das Schweigen und Taktieren durchbrochen wird und von den Kandidaten klare politische Ziele und Inhalte genannt werden.
Damit Unzufriedene ihre Proteststimme nicht einem Kandidaten geben müssen, dessen Erfolg im Ausland als Beweis für eine neue Braunfärbung Österreichs aufgefaßt würde [Kurt Waldheim, Anm.]
Damit all jene, die sich schon abgewandt haben, ermutigt werden. damit sie nicht resignieren, sondern eingreifen: ihre Lebensbedingungen nicht von Machern hinter verschlossenen Türen bestimmen lassen. Beteiligen statt schlucken.
Damit auch jene Frauen ermutigt werden, die sich – wie auch ich lange Zeit – nicht zutrauen, aktiv in der Gesellschaft zu wirken. Ihre Begabungen, ihr Zugang zur Politik fehlt uns allen.
Es geht um den Versuch, um die Chance, ein politisches Klima in unserem Land zu schaffen, in dem ausgesprochen wird, was wird und was viele Menschen bekümmert.
Es geht um eine Absage an die tausendfache öffentliche Lüge, an das Verschleiern und Verkleistern von Übelständen, um eine Absage an den Machtfilz in Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Großinstitutionen. Nie wieder möchte ich in einer angesehenen ausländischen Zeitung („Le Monde„) lesen müssen: „Österreich: Lächerlich, provinziell, korrupt“.
Wir müssen aufhören, Kriegsverbrecher zu importieren und gefälschte Spätlese zu exportieren, symbolisch und in Wirklichkeit. Wir müssen statt dessen all die gebündelten Hoffnungen, die brauchbaren Ideen, Vorschläge, Forderungen und Entwürfe engagierter Wissenschaftler und anderer Bürger endlich schrittweise in die Tat umsetzen. Entwürfe für eine bessere Energie-, Verkehrs-, Steuer- und Industriepolitik; zur Arbeitsbeschaffung; zu einem Sofortprogramm gegen das Waldsterben, bevor unsere Wälder zu Baumleichenhalden werden; zur Stärkung der Bürgerrechte; zur Friedens- und Dritte-Welt-Politik…
Ich bin bereit, zu kandidieren, damit junge Menschen – nicht zuletzt meine eigenen Kinder – nicht mehr zornig oder resigniert abwinken, wenn von Politik und Politikern die Rede ist.
Weil ich mich, wie so viele, nach Wahrhaftigkeit sehne.
Darum kandidiere ich. //zitatende//
Danke an Peter Pruzina von den Grünen Melk für die Zusendung!