184/366: Josef Riegler über schwarz-grün

10 Jahre schwarz-grün. Eine Spekulation.
10 Jahre schwarz-grün. Eine Spekulation.

Nach der Nationalratswahl 2002 verhandelten ÖVP und Grüne intensiv über eine Koalition. Am 16. Februar 2003 brachen die Grünen die Verhandlungen ab – man hatte sich auf vielen Gebieten einigen können, aber in einigen zentralen Punkten nicht. Was wäre heute anders, wenn diese Koalition zustandegekommen und für zwei Perioden geblieben wäre? Diesen Fragen ging die Julius-Raab-Stiftung 2013 im Sammelband „10 Jahre schwarz-grün. Eine Spekulation“ nach. PolitikerInnen von ÖVP und Grünen sowie JournalistInnen überlegten, wie eine spekulative Bilanz von zehn Jahren Schwarz-Grün aussehen könnte.

Mit freundlicher Genehmigung der Julius-Raab-Stiftung veröffentlichen wir im Blog den Beitrag „Eine vertane Chance? Über die Argumente der ‚Initiative schwarzgrün‘ aus dem Jahr 2004 für das Projekt einer schwarz-grünen Politik – und ihre Relevanz für heute“ von Josef Riegler. Eine der eindrücklichsten Passagen daraus: „Wir dürfen das Schicksal Europas nicht den Demagogen und Polarisierern überlassen, die mit nationalistischer Aufwiegelung und dem Schüren von Ressentiments im Trüben fischen wollen“.

Der Steirer Josef Riegler war von 1972 bis 1992 aktiver ÖVP-Politiker, unter anderem Bauernbunddirektor, Nationalratsabgeordneter, Landwirtschaftsminister, Vizekanzler und Bundesparteiobmann der ÖVP. Er gründete 1992 das Ökosoziale Forum Österreich und 2001 das Ökosoziale Forum Europa. Riegler prägte den Begriff der Ökosozialen Marktwirtschaft und engagiert sich bei der Global Marshall Plan-Initiative.


// Im Jahr 2004 publizierte eine „Initiative schwarzgrün“ das Buch „Die Ökosoziale Wende? Perspektiven und Horizonte einer schwarz-grünen Politik“. Man wollte damit auf eine mögliche zweite Chance nach den Nationalratswahlen 2006 inhaltlich besser vorbereitet sein. Das Wahlergebnis vereitelte dann allerdings ein solches Vorhaben. 2008 hätte Wilhelm Molterer aus Überzeugung eine Regierungszusammenarbeit mit Alexander Van der Bellen gesucht. Wieder machte das Wahlergebnis einen Strich durch die Rechnung, und für beide endete die Zeit der Parteiobmannschaft. Angesichts aktueller Meinungsumfragen ist es ein mehr als wagemutiges Vorhaben, neuerlich ein Buch über eine schwarz-grüne Perspektive zu schreiben. Aber wer weiß – vielleicht wird Wagemut eines Tages belohnt.

Argumente von damals

Die ökosoziale Wende.
Die ökosoziale Wende. Perspektiven und Horizonte einer schwarz-grünen Politik.

Es ist jedenfalls von Interesse, einige der Argumente in Erinnerung zu rufen, die im besagten Buch 2004 für das Projekt einer schwarz-grünen Politik genannt wurden:

  • Volkspartei und Grüne einen fundamentale Werte: Liberalität, Menschenwürde, Nachhaltigkeit, Solidarität, Subsidiarität, Weltoffenheit und Wertorientierung.
  • In vielen Sachfragen wäre vernünftige Politik möglich: Integration; privates Angebot im Sozialbereich; entstaatlichte Solidarität; Ökosoziale Marktwirtschaft; Kultur- und Medienpolitik
  • Eine solche Koalition hätte Vorbildfunktion für ganz Europa.
  • Die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte sind sehr stark ökologisch geprägt. Eine Koalition der Zukunft muss also Kompetenz und Verantwortung in diesem Bereich beweisen. Auch hier treffen mit ÖVP und Grünen zwei Kräfte aufeinander, die dies früh erkannt haben.

Auf Seite 12 in „Die Ökosoziale Wende“ heißt es dann resignierend: „In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2003 war der kurzweilige Traum dann ausgeträumt. Ein erschöpfter Alexander Van der Bellen erklärte das Ende der Verhandlungen. Noch am Abend desselben Tages attestierte Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat den Verhandlern Professionalität und Regierungsfähigkeit.“

Nun wird nach dem „was wäre wenn…?“ gefragt. Mehr als eine intellektuelle Gedankenspielerei? Wer weiß – man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Gedanken können Dynamik entwickeln.

Was wäre wenn …?

Was wäre heute in Österreichs Politik besser, wenn zehn Jahre lang Schwarz-Grün regiert hätte? Sicher vieles. Zunächst wären uns wohl die meisten jener Korruptions-, Bereicherungs- und Selbstbedienungsskandale erspart geblieben, die nun Untersuchungsausschüsse und Gerichte beschäftigen. Es darf erwartet werden, dass es eine andere charakterliche Qualität in Regierung und Politik gegeben hätte.

Das Ansehen Österreichs in Europa wäre gegenüber zwei Jahren schwarz-blauer Koalition deutlich gestiegen. Wir hätten uns peinliche Bittbriefe wie „Vorarlberg is too small…“ erspart. Das Wichtigste: Zehn Jahre Schwarz-Grün hätten Österreich stark in Richtung Ökosoziale Marktwirtschaft geprägt. Eine vernünftige Balance zwischen leistungsstarker Wirtschaft, sozialer Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit wäre das Herzstück einer gemeinsamen Politik gewesen. In diesem Punkt hätten sich die beiden Parteien ideal ergänzt. „Die Idee der Ökosozialen Marktwirtschaft war der unseren sehr ähnlich“, sagte Alexander Van der Bellen.

In den Bereichen Bildung und Kultur gäbe es zwar Konfliktzonen, aber auch eine fruchtbare Ergänzung zwischen wertkonservativen und liberalen Positionen.

Möglicherweise wären uns bei einem echten inhaltlichen Kompromiss in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2003 die Eurofighter erspart geblieben und eine moderate Pensionsreform beschlossen worden, die dann auch gehalten hätte.

Was Europapolitik, Integrationspolitik sowie das Engagement in Entwicklungspolitik anlangt, hätte sich eine schwarz-grüne Zusammenarbeit positiv auf die inhaltliche Gestaltung und das internationale Ansehen Österreichs ausgewirkt. Was wäre heute in Österreichs Politik schlechter, wenn zehn Jahre lang Schwarz-Grün regiert hätte? Nachdem auch die sogenannte Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP über keine Zweidrittel-Mehrheit mehr verfügt und daher für Verfassungsgesetze die Zustimmung einer Oppositionspartei benötigt, kann ich kaum Nachteile erkennen. Möglicherweise gäbe es mitunter Konfliktzonen mit der einen oder anderen Interessenvertretung (Kammer).

Schwarz-grüne Duos

Welche Politiker waren/sind Regierungsmitglieder einer schwarz-grünen Regierung – und was zeichnet sie aus? Eine Achse Wilhelm Molterer – Alexander Van der Bellen hätte nach meiner Beurteilung viele inhaltliche Gemeinsamkeiten und menschliche Potenziale gehabt. Leider hat das Wahlergebnis 2008 eine solche Option vereitelt. Auch eine Achse Eva GlawischnigJosef Pröll wäre ähnlich positiv zu sehen. Reinhold Mitterlehner und Rudi Anschober, Madeleine Petrovic und Maria Rauch-Kallat, ja sogar Ernst Strasser und Peter Pilz hätten überraschenderweise viele gemeinsame Vorhaben entwickelt. Es gäbe jedenfalls in beiden Parteien genügend ministrable Persönlichkeiten mit fachlicher Kompetenz und charakterlicher Qualifikation, die gut miteinander könnten.

Wie hätte sich in den vergangenen Jahren das Steuersystem bzw. die Steuerbelastung verändert? Eine „ökosoziale Steuerreform“ wäre wohl Herzstück einer schwarz-grünen Regierungspolitik. Gemeint ist damit ein längerfristiger und für Unternehmen planbarer Umbau des Steuersystems nach folgenden Grundsätzen: Entlastung des Faktors Arbeit durch Senkung der Lohnsteuer für Arbeitnehmer und der Lohnnebenkosten für Unternehmer sowie Kompensation durch höhere Steuern bzw. Abgaben auf fossile Energieträger, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Durch einen „Ökobonus“ würden Mehrkosten für Konsumenten und Haushalte ausgeglichen. Investitionsförderungen für erneuerbare Energien und Nachhaltigkeitsprojekte würden die Wirtschaft beleben und Arbeitsplätze schaffen.

Außerdem wäre es wohl viel früher zu einer besseren Balance zwischen der Besteuerung von Einkommen aus Erwerbsarbeit und Einkünften aus Kapitalveranlagung gekommen. Es ist anzunehmen, dass die Schenkungs- und Erbschaftssteuer zwar modifiziert, aber nicht ersatzlos gestrichen worden wäre. Die Themen Studiengebühren und Vermögenssteuern hätten sicher für Diskussionen und Konflikte gesorgt. Die gesamte Abgabenquote dürfte nicht wesentlich anders sein.

Chance auf Energiewende

Wie würde Österreichs Energiepolitik aussehen? Unter einer schwarz-grünen Regierung hätte es auch – ähnlich wie in Deutschland – die Chance auf eine echte Energiewende gegeben. Der Widerstand mächtiger Lobbys aus Industrie, Energiewirtschaft und Autofahrerclubs wäre zwar auch da gewesen, aber doch weniger Einfluss von Kammern, Gewerkschaften und Pressure-Groups auf die unmittelbare Regierungsarbeit. In Bezug auf den Kyoto-Vertrag und wichtige Umweltziele stünde Österreich international sicher besser da. Andererseits ist davon auszugehen, dass die ÖVP auf Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität für Unternehmen geachtet hätte.

Unter Schwarz-Grün hätte Österreich seine einmaligen Chancen in Richtung Energieautarkie auf Basis erneuerbarer Energieträger jedenfalls wesentlich energischer nützen können. Jahre des Stillstands und des Rückfalls im internationalen Vergleich wären uns erspart geblieben.

Was hätte Schwarz-Grün zur Reform des Pensionssystems unternommen? Eine Reform des Pensionssystems wäre wohl eine der konfliktreicheren Materien gewesen. Ich zitiere Madeleine Petrovic aus ihrem Beitrag im Buch „Die Ökosoziale Wende“: „In der Dekadenzphase der rot-schwarzen Koalitionen begann dann eine ganze Serie von sozial problematischen Sparpaketen, während die grüne Hauptforderung im Bereich der Sozialpolitik – die Einführung von Mindestsockeln bei der Entlohnung und in der Sozialversicherung (‚Grundsicherung‘) – immer mehr als utopische Spinnerei abgetan wurde. Armut von Frauen und Kindern, von alten Menschen, von Behinderten und Personen mit unregelmäßigen und atypischen Beschäftigungen, von Flüchtlingen und ArbeitsmigrantInnen wurde als Systembestandteil akzeptiert. (…) Rot und Schwarz haben in den Jahren vor dem Februar 2000 gemeinsam einen reichlich unökologischen, nicht verteilungsgerechten und patriarchalen Kurs gesteuert.“ Trotzdem bin ich überzeugt, dass eine sinnvolle Zukunftssicherung und Harmonisierung im historisch sehr unterschiedlich ausgeprägten österreichischen Pensionssystem machbar gewesen wäre.

Wie stünde Österreich heute insgesamt in Europa da? Nachdem die Grünen – im Gegensatz zu FPÖ, BZÖ, Team Stronach und „Kronen Zeitung“ mit ihrer dumpf-chauvinistischen Anti-EU-Gräuelpropaganda – sich auch als Oppositionspartei verantwortungsbewusst für das Gelingen des europäischen Einigungsprozesses engagieren und auch qualifizierte Mehrheiten im Nationalrat ermöglichen, hätte sich Schwarz-Grün europapolitisch sicher positiv ausgewirkt.

Eine offensivere Haltung in den Bereichen Migrationspolitik und Entwicklungszusammenarbeit hätte dem Ansehen Österreichs in Europa gutgetan. Ebenso die Betonung europäischer Solidarität.

Das Wichtigste: Österreich wäre frühzeitig in einer durch Jahre von der neoliberalen und marktfundamentalistischen Ideologie geprägten EU-Politik als Land mit einer praktizierten Ökosozialen Marktwirtschaft beispielhaft und äußerst positiv aufgefallen. Österreich hätte – z. T. gemeinsam mit Deutschland, Frankreich und den skandinavischen Ländern – die überaus positiven Erfahrungen mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft innerhalb der EU wieder bewusst machen können. Gegenüber der schwierigen Episode in den Jahren 2000 bis 2002 wäre eine schwarz-grüne Regierung ab 2003 europapolitisch ein echter Qualitätssprung gewesen.

Lebt die Hoffnung?

Niemand kann sagen, ob sich eine Konstellation wie nach der Nationalratswahl 2002 nochmals ergibt. Im Gegensatz zu damals gedanklich vorbereitet zu sein, kann sicher nicht schaden.

Die Themen soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit werden zu Existenzfragen für die Demokratien in Europa.

Wir müssen in Europa den Ungeist eines angloamerikanischen profitgetriebenen Kapitalismus bzw. Marktfundamentalismus so rasch wie möglich überwinden. Das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft muss die europäische Antwort sein. Damit könnte Europa den weiteren Verlauf der Globalisierung in Richtung Friedens- und Zukunftsfähigkeit konstruktiv prägen. Dazu brauchen wir ein starkes, entscheidungsfähiges Europa. Daher gilt es alle positiven Kräfte zu bündeln, um einen nächsten Qualitätssprung im europäischen Einigungsprozess zu schaf fen: Einen europäischen Bundesstaat – aber nicht zentralistisch, sondern mit ausgeprägtem Subsidiaritätsprinzip. Die großen Aufgaben gemeinsam gestalten, aber die Belange des täglichen Lebens in Gemeinden, Regionen, Ländern und Staaten so nahe wie möglich bei und mit den Bürgerinnen und Bürgern regeln!

Wir dürfen das Schicksal Europas nicht den Demagogen und Polarisierern überlassen, die mit nationalistischer Aufwiegelung und dem Schüren von Ressentiments im Trüben fischen wollen.

Weniger parteipolitisches Hickhack und dafür viel mehr gemeinsamen Gestaltungswillen aller positiven Kräfte! Sich dafür einzusetzen ist ein Gebot der Stunde. //

von Josef Riegler

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