138/366: Leitlinien grüner Politik – ein Fall fürs Gericht?

Die Leitlinien grüner Politik wurden in der Zeitschrift "Impuls Grün" 8+9/1990 veröffentlicht.
Die Leitlinien grüner Politik wurden in der Zeitschrift „Impuls Grün“ 8+9/1990 veröffentlicht.

Als Vorläufer des grünen Grundsatzprogramms wurden 1990 – nach über einem Jahr basisdemokratischer Programmarbeit in Diskussionen, Seminaren, Veranstaltungen und Gesprächen – die „Leitlinien Grüner Politik“ vom Bundeskongress beschlossen. Elf Jahre später, im März 2001, waren diese Leitlinien Bestandteil einer schriftlichen Anfrage der freiheitlichen Nationalratsabgeordneten Theresia Zierler, Helene Partik-Pablé und Kollegen an Innenminister Ernst Strasser:

Dem Grundsatzprogramm der Grünen [gemeint sind die Leitlinien, Anm.] ist folgendes zu entnehmen: „Auch Blockaden, Besetzungen, spontane Streiks uva. können in besonderen Fällen Mittel einer grün-alternativen Politik sein, wobei es im Wesen des Widerstandes und des zivilen Ungehorsams liegt, daß sich diese nicht von vornherein auf den von den Mächtigen vorgegebenen Rahmen einer einseitig ihre Interessen schützende Legalität eingrenzen lassen“.

Nach §281 StGB ist die Aufforderung ein bestimmtes Gesetz allgemein oder grundsätzlich zu mißachten strafbar. […]

  1. Teilen Sie die Auffassung, daß die oben angeführte Aussage ein Aufruf zur Gewalt ist? Sehen Sie durch die in den oben angeführten „Leitlinien Grüner Politik“ erfolgten Aufrufe zu Nötigung und Hausfriedensbruch, bzw. im Gutheißen dessen, den §281 StGB verletzt? Wenn ja, werden die dafür zuständigen Behörden Ermittlungen durchführen und welche? Wenn nein, warum nicht?
  2. Sehen Sie durch die in den oben angeführten „Leitlinien Grüner Politik“ erfolgten Aufrufe zu Nötigung und Hausfriedensbruch, bzw. im Gutheißen dessen, andere Rechtsnormen verletzt? Wenn ja, werden die dafür zuständigen Behörden Ermittlungen durchführen und welche? Wenn nein, warum nicht?
  3. Sehen Sie im Gutheißen von Blockaden Ihre Politik des von Ihnen so titulierten „österreichischen Weges“ konterkariert? Wenn ja, was wollen Sie dagegen unternehmen?
  4. Zu wie vielen Blockaden (z.B. Straßensperren) ist es während Ihrer Amtszeit wann und wo genau gekommen?

Die Antwort des Innenministers Strasser lautete, dass darin keine Aufforderung zu einem strafbaren Verhalten zu erkennen sei:

Zu den Fragen 1 bis 3: Das der Anfrage vorangestellte Zitat zählt mögliche Mittel des Widerstandes sowie des zivilen Ungehorsams auf. Eine Aufforderung zu einem strafbaren Verhalten im Sinne des § 281 StGB ist diesem Zitat nicht zu entnehmen. Die Anfrage wurde auch an das Bundesministerium für Justiz übermittelt.
Zu Frage 4: Der „österreichische Weg“ muss jener sein, der innerhalb der durch die Verfassung und die Gesetze vorgezeichneten Bahnen verläuft. Dementsprechend ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu akzeptieren, sofern von diesen Rechten im gesetzlich vorgesehenen Rahmen Gebrauch gemacht wird. Werden die Grenzen der Grundrechte überschritten, bedeutet der „österreichische Weg“ aber auch, dass der gesetzlich vorgesehene Zustand mit den zu Gebote stehenden Mitteln aufrecht erhalten wird.
Zu Frage 5: Im Bundesgebiet kam es zu insgesamt 129 Straßenblockaden. Ingesamt 26 Straßenblockaden wurden am 05.12. 2000 im Rahmen von „Checkpoint Austria“ [österreichweite Protestaktion gegen das Budget am 5. Dezember 2000, Anm.] in Wien, Stadt Salzburg, Graz, Mödling und Gmunden durchgeführt. Die restlichen 103 Straßenblockaden wurden im Rahmen von Protestaktionen gegen die Inbetriebnahme des AKW Temelin durchgeführt. Dabei wurden 29 Grenzübergänge im Bereich der Sicherheitsdirektion Oberösterreich sowie 74 Grenzübergänge im Bereich der Sicherheitsdirektion Niederösterreich blockiert.

Im grünen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2001 klingt die entsprechende Passage dann so:

Da politische, soziale und ökologische Konflikte mit Gewalt und durch Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte nicht zu lösen sind, ist die Achtung der Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere das Demonstrationsrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Grundrechte auf Integrität der Person und ein faires Verfahren seitens des Staates und seiner VertreterInnen unabdingbare Voraussetzung für die Lösung jener Konflikte, die Menschen zu Schritten des zivilen Ungehorsams bewegen. Es ist Aufgabe der Politik, politische Lösungen für politische Probleme zu suchen. Jedem Versuch, gewaltfreien und sachlich legitimen Ungehorsam mit polizeistaatlichen Methoden zu unterbinden, werden die Grünen ihren Widerstand entgegensetzen. Ziviler Ungehorsam – der Widerstand gegen ungerechtes Recht – ist eine Reaktion auf

  • Machtmissbrauch sowie offensichtliche und gravierende Verletzungen der Menschenrechte durch staatliche Autoritäten (diese verlieren durch Menschenrechtsverletzungen ihre Autoritätsgrundlage) oder
  • die Verletzung von Ansprüchen, die noch nicht als Grundrechte oder Menschenrechte anerkannt sind (z. B. Recht auf eine intakte Umwelt, sauberes Wasser, Luft etc. also ökologische Grundrechte).

Er umfasst Akte der Zivilcourage, der bewussten Nichtbefolgung von Normen, des zivilen Ungehorsam ohne direkte Verletzung von Gesetzen sowie aktiven, gewaltfreien Widerstand und ist Indikator für das Bestehen politischer, sozialer oder ökologischer Probleme, die politisch, sozial, ökologisch, nicht aber mit polizeilichen Mitteln zu lösen sind. In der Geschichte der Zweiten Republik und in der Geschichte der Grünen gibt es eine ganze Reihe von Beispielen zivilen Ungehorsams, die auf die Politik starken Einfluss genommen haben und ihre Legitimität bewiesen haben (Widerstand gegen AKWs, gegen Tierfabriken).


Paragraph 281 wurde übrigens im August 2015 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

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