Warum ist Alexander Van der Bellen ein untypischer Politiker? 2001 widmete der Journalist und Buchautor Christian Neuwirth dem damaligen Bundessprecher der Grünen ein Buch, das auf zahlreichen Gesprächen beruht. Unser Gastautor Stefan Wolfinger hat es gelesen.
Unter dem Titel „Alexander Van der Bellen – Ansichten und Absichten“ (Molden Verlag) versuchte Christian Neuwirth, im Jahr 2001 als Journalist bei „News“ tätig, die Gedanken und politischen Pläne des damaligen Bundessprechers der Grünen in Buchform zu fassen. Das Werk basiert auf zahlreichen Gesprächen und porträtiert den ehemaligen Wirtschaftsprofessor als eine unkonventionelle Figur in der österreichischen Politiklandschaft. Neuwirth geht dabei der Frage nach, wie Alexander Van der Bellen tickt, politisch wie menschlich. Denn: „Grundsatzpapiere hin oder her, neugierig ist man auf die Politiker“.
Nachdenkpausen statt Phrasen
Der Autor verzichtete allerdings auf Homestorys oder private Fotos. Er beschränkte sich auf die politische Person Van der Bellens und gibt einen kurzen Überblick über dessen Werdegang. Detailliert ging er darauf ein, wie der damalige grüne Partiechef in der Öffentlichkeit agiert und wie sein Auftreten wahrgenommen wird. So ortete er etwa in der „berühmten Nachdenkpause“ bei Gesprächen ein Charakteristikum Van der Bellens. Phrasendreschen bei öffentlichen Auftritten sei generell nicht sein Ding.
In Interviews und Gesprächen bemühe er sich, sein Gegenüber ernst zu nehmen und tatsächlich eine Antwort auf gestellte Fragen zu geben – was bei vielen PolitikerInnen keine Selbstverständlichkeit sei. Bei manchen Fragen räume Van der Bellen auch ein, keine passende Antwort parat zu haben, und gibt dies auch zu, statt inhaltliche Schwächen mit vorgefertigten Stehsätzen zu kaschieren. Der Autor kam zum Schluss, dass auf Van der Bellen die Bezeichnung „Berufspolitiker“ nicht passen würde, obwohl dieser bereits Chef einer der vier Parlamentsparteien war, als das Buch erschien.
Gemeinsame Wurzeln beim Engagement für Umwelt und Soziales
Auf die Frage, wie sich Van der Bellen im politischen Rechts-Links-Schema einordnen würde, antwortete der damalige Grünen-Chef 2001: „Als ich mich um die Professur an der Uni Wien beworben habe, war ich mit meinem Vorgänger im Kaffeehaus, und der hat mich nach meiner politischen Orientierung gefragt. Ich habe mich als links-liberal bezeichnet und so bezeichne ich mich auch heute noch.“
Selbstverständlich hinterfragte Autor Neuwirth beim damaligen Parteichef der Grünen auch sein Verständnis von Ökologie. Während bei vielen Grün-Aktivistinnen und Aktivisten die politische Laufbahn in konkreten Umweltschutzinitiativen begannen, näherte sich Van der Bellen diesem Thema über sein Spezialgebiet, der Wirtschaftswissenschaften:
„In jedem Lehrbuch der Ökonomie ist es ganz klar, dass sogenannte Umweltprobleme in den Kontext des sogenannten Marktversagens führen. In einem sich selbst überlassenen Markt also nicht gelöst werden. Auch der liberalste Ökonom wird nicht leugnen, dass das ein Punkt ist, in dem der Staat intervenieren sollte.“
Van der Bellen betonte jedoch, dass sich die Grünen nicht nur für den Umweltschutz starkmachten. Von großer Wichtigkeit für die Partei seien auch soziale Fragen. Der Parteivorsitzende vermutete im sozial- und umweltpolitischen Engagement der Grünen gemeinsame Wurzeln: die Sorge um die Schwächsten. Und, sollten die Grünen einmal Regierungsverantwortung übernehmen, dann würden sie nicht nur den Umweltschutz als einer der vordringlichsten Dinge sehen, sondern auch den Bereich Bildungspolitik, Forschung und Entwicklung sowie die soziale Absicherung der Bürgerinnen und Bürger.
Pro EU – auch wenn es viel zu kritisieren gibt
Die grundsätzlichen Überlegungen, warum Van der Bellen die Europäische Union und die Mitgliedschaft Österreichs in der EU für richtig und wichtig erachtet, sollten für ihn auch heute noch Gültigkeit haben. Obwohl es „tausende Sachen an der EU zu kritisieren“ gäbe – insbesondere in demokratiepolitischer Hinsicht –, sei sie ein Projekt, das in den Bereichen der wirtschaftlichen Entwicklung, der sozialen Sicherheit und der Ökologie nach wie vor mittel- und langfristig positive Entwicklungsmöglichkeiten biete.
2001 waren die Aufgaben des Bundespräsidenten für Van der Bellens nur ein Randthema. Er äußerte, dass es keinen unmittelbaren Reformbedarf gäbe und die Zuständigkeiten des Bundespräsidenten sollten in etwa so bleiben, wie sie sich seinerzeit (Bundespräsident war damals Thomas Klestil) darstellten. Zentral war vielmehr, wie die Grünen ihre Rolle als Oppositionspartei ausfüllten. Oder welche Rolle sie außenpolitisch in einer EU spielen konnten, die der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition die kalte Schulter zeigte und mit „Sanktionen“ belegt hatte. Diese Analysen sind heute historisch gesehen interessant, das Buch bietet aber auch zahlreiche Einschätzungen Van der Bellens zu Fragen, die weiterhin aktuell sind.
Literaturangabe
Christian Neuwirth: Alexander Van der Bellen. Ansichten und Absichten. Wien: Molden Verlag 2001