145/366: Opposition und eine Prise Aktionismus

Brigid Weinzinger und Martin Fasan boten im Jahr 2003 ein "best of Landtag".
Brigid Weinzinger und Martin Fasan boten im Jahr 2003 ein „best of Landtag“ – einen humoristischen Rückblick auf die ersten fünf Jahre.

„Die erste Periode mit Grünen Landtagsabgeordneten ist fast vorbei. Konsequente Opposition, ungewohnt sachpolitische Beiträge und eine Prise Aktionismus haben frischen Wind gebracht“, so erinnern sich Brigid Weinzinger und Martin Fasan an die ersten fünf Jahre Grüne im niederösterreichischen Landtag. Der Beitrag „Grüne Pioniere“ erschien im Jänner 2003 in der grünen „Basis“.


// Ein Kulturschock war der Einzug der Grünen in den NÖ-Landtag. Wo einstmals rechte Beschaulichkeit das Zusammentreffen der schwarzen, roten und blauen Regierungsparteien prägte, sorgten die Grünen erstmals für Oppositionspolitik — konsequent und kritisch. Dabei waren die Mittel, die den Grünen zur Verfügung standen, bescheiden. Zur Erinnerung: In NÖ sind in den Ausschüssen des Landtags nur die drei Regierungsparteien zugelassen; das Recht, Anträge einzubringen oder Aktuelle Stunden zu beantragen, steht ebenfalls nur den Regierungsparteien zu. Vom Zugang zu Informationen aus der Beamtenschaft ganz zu schweigen. Dafür konnten die beiden Grün-Abgeordneten auf wertvolle Informationen von Bürgerinitiativen und Gemeindegruppen zurückgreifen, auf ein starkes Grünes Netz an Personen und Fachwissen.

Kampf den Natursünden

Dass in Ebreichsdorf keine Stronach-Erlebniswelt mit gigantischer Weltkugel steht, ist der herausragendste Erfolg beim Naturschutz. Aber ähnlich wie beim Natura-2000-Gebiet der „Welschen Halten“ bei Ebreichsdorf gibt es in ganz NÖ große und kleinere Projekte, die wertvollen Naturraum bedrohen und manchmal sogar gesetzeswidrig sind, wie die Grünen anhand von Schwarzbauprojekten aufzeigen konnten. Eine Kampagne und die Veröffentlichung des „Schwarzbuchs Naturschutz“ machten gleich von Anfang an klar, dass es nicht genügt, in NÖ zwei Nationalparke als Vorzeigeprojekte zu haben und sonst überall mit Wirtschafts-und Gewerbeinteressen über die Natur drüberzufahren. Apropos Nationalparks: Erst teilweise geschlagen ist der Kampf um einen dritten Nationalpark für NÖ. Der Wienerwald braucht dringend wirksamen Schutz in Form eines Biosphärenparks mit einer Kernzone Nationalpark.

Ökostrom statt Atomstrom

Erst seit die Grünen im NÖ-Landtag sind, gibt es Ansätze einer NÖ-Anti-Atom-Politik und den Werbefeldzug des Umweltlandesrates für den Beitritt zum Klimabündnis. Eine erfolgreiche Unterschriftenaktion von Grünen und Umweltorganisationen gegen ein geplantes Atommülllager in Dukovany an der NÖ-Grenze stand am Anfang, gefolgt von zahlreichen Vorstößen und Initiativen zur Schließung des AKW Temelin und für ein atomkraftfreies Mitteleuropa. Nicht zu vergessen die slowakischen Reaktoren in Grenznähe (Bohunice und Mochovce) und vor allem das Hauptproblem: der von der EVN importierte Atomstrom, der in NÖ inzwischen Berichten zufolge fast schon ein Drittel der Strommenge beträgt. NÖ hätte das Potential, innerhalb von zehn Jahren den gesamten Atomstromanteil durch erneuerbare Energie aus heimischer Produktion zu ersetzen, die Zeiten derzeit allerdings vom Gesetz behindert, statt entsprechend ausgebaut wird. Die Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung hat bereits gegriffen, jene in der Lan-desregierung braucht offenbar noch Nachdruck.

Vorrang für Biolandbau

In der Landwirtschaftspolitik ist buchstäblich härtester Boden zu beackern. Eine ein-flussreiche Agrarlobby, die Dominanz des Bauernbundes und ein Bauernbundpräsident (gleichzeitig auch 3. Landtagspräsident), der offen für die Gentechnik eintritt, sind eine schwere Bürde für ein Bundesland, welches das Zeug hätte, sich zu einer europäischen Bio-Region mit Qualitätsprodukten und entsprechender verarbeitender Industrie zu entwickeln. Trotzdem ist es gelungen, den Einsatz von gentechnisch veränderten Produkten in der Landwirtschaft weiterhin zu verhindern und auf Antrag der Grünen die Verwendung von mindestens 25 % Bioprodukten in öffentlichen Großküchen per Landtagsbeschluss zu verankern. Der erste BSE-Fall in Österreich und die bekannt gewordenen Missstände in der Tierhaltung und Fleischkontrolle haben deutlich vor Augen geführt, dass nicht nur die Kontrolle, sondern vor allem die Tierhaltung selbst dringender Verbesserungen bedarf.

Mobilität für alle statt Transithölle

Als Mahner in der Wüste kann man die Grünen in der Verkehrspolitik bezeichnen. Wo die anderen drei Parteien bloß versuchen, sich gegenseitig im Erfinden und Einfordern immer neuer Straßen- und Transitrouten zu überbieten, haben die Grünen deutlich auf die Gefahren eines „Brenners des Osten“ hingewiesen und intelligente Verkehrspolitik eingefordert. Wenn die offizielle Landespolitik ausschließlich mit dem Bau des Autobahnrings um Wien, der Nordautobahn, der Schaffung von europäischen Transitrouten und einem „TEN-Knoten Wien“ bei gleichzeitiger Schließung von Regionalbahnen und Verschlechterungen im öffentlichen Verkehr beschäftigt ist, dann wird Widerstand politische Pflicht. Transitrouten zerschneiden und zerstören Lebensraum für Mensch und Natur. Die Ballungsräume profitieren, auf der Strecke bleiben die ländlichen Regionen.

Die "Basis" über fünf Jahre Grüne im Niederösterreichischen Landtag.
Die „Basis“ über fünf Jahre Grüne im Niederösterreichischen Landtag.

Nahversorgung sichern

Als zuletzt das Schließen von Postämtern, Gendarmerieposten und Bezirksgerichten debattiert wurde, gingen die Wogen hoch. Tatsächlich ist das aber nur die Fortführung einer anhaltenden Ausdünnung des ländlichen Raumes. Denn die Ortskerne werden seit Jahren von den boomenden Stadträndern ausgesaugt, Autobahnen fördern die Ballungszentren und sterbende Regionalbahnen reduzieren die Mobilität der nicht motorisierten Bevölkerung. Dahinter steckt nicht zuletzt eine verfehlte Raumordnungspolitik. Die Grünen haben mit einem breit angelegten Schwerpunkt nicht nur auf die Probleme hingewiesen, sondern eigene Lösungsvorschläge entwickelt. Mit ihrem Modell einer verkaufsflächengebundenen Landesabgabe für Großmärkte und gezielten Förderung für Nahversorger, das unter anderem auch bei einer Fachenquete im Landtag zur Diskussion gestellt wurde, sind sie auch in Wirtschaftskreisen auf Interesse und Zustimmung gestoßen.

Kranke Häuser, gesunde Reformen?

Die Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern sicherzustellen, hat sich in den letzten Jahren vor allem als Streit um die Finanzierung bemerkbar gemacht. Die Rechtsträgerschaft von Spitälern ist für viele Gemeinden fast unfinanzierbar und Quelle hoher Gemeindeverschuldung, da sie als letzte der Finanzierungshierarchie (nach Bund und Land) mit dem herrschenden Einsparungsdruck überbleiben. Der Streit um Finanzierungsmodelle, politischen Einfluss und insbesondere Konflikte zwischen schwarzen und roten Interessen haben die Debatte gesundheitspolitisch wenig fruchtbar gemacht. Mitten in diesem Spannungsfeld steht die Versorgung der PatientInnen, die bei den spürbar werdenden Sparmaßnahmen gefährdet werden könnte. Verbesserung der Qualität der Versorgung statt Ambulanzgebühren & Co sowie eine einheitliche Gesund-heitspolitik in allen Krankenhäusern in NÖ statt Doppelgleisigkeiten und Streitereien sind gefordert. Dahingehende Grüne Resolutionsantrage lösten zähneknirschende und langsame Reaktionen aus, konnten in ihrer sachlichen Berechtigung aber nicht so einfach vom Tisch gewischt werden.

Von Männern und Frauen

Wie sehr das Verständnis von Frauenpolitik zwischen Grünen und ÖVP auseinander klafft, lässt sich am Landesbudget ablesen. Bei einem Gesamtbudget von rund vier Milliarden Euro, kritisierten die Grünen, dass auf das Frauenreferat nur 90.000 Euro entfielen. Die ÖVP allerdings führte ins Treffen, es käme ja auch die Hälfte des Wohnbaubudgets, des Verkehrsbudgets etc. den Frauen zu Gute, sie seien also ohnehin gleichbehandelt (sic!). Angesichts dieser Einstellung wundert es wenig, dass in NÖ eine flächendeckende Versorgung mit Frauenberatungsstellen nicht vorhanden ist, nicht alle Landesviertel auch nur über ein eigenes Frauenhaus verfügen, die Frauenbeschäftigung und vor allem die Fraueneinkommen jenen der Männer drastisch hinterherhinken und nicht zuletzt die Besetzung von hochrangigen Jobs in der Verwaltung und Politik Frauen nur in Spurenelementen zulässt. Es ist daher klar zu machen, dass jegliche gesetzliche und politische Maßnahme auf Frauen und Männer potentiell unterschiedliche Auswirkungen hat, die zu bedenken sind, und „Gender Mainstreaming“ auch in NÖ wichtig ist. Ein Grüner Vorstoß führte zu einem entsprechenden Landtagsbeschluss, der wohl aber nur ein Anfang war.//

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