331/366: Philosophische Fragen an eine grüne Programmatik

"Philosophische Fragen an eine grüne Programmatik" erschien in der Broschüre zu 10 Jahre Grüne Bildungswerkstatt (1996)
„Philosophische Fragen an eine grüne Programmatik“ erschien in der Broschüre zu 10 Jahre Grüne Bildungswerkstatt (1996)

Konrad Paul Liessmann stellte 1996 bei der Bildungstagung der Grünen Bildungswerkstatt „Philosophische Fragen an eine grüne Programmatik“. Der Beitrag „Die Zukunft der Moderne“ erschien in einer gekürzten Version in der Broschüre „10 Jahre Grüne Bildungswerkstatt“. Daraus bringen wir heute einen Auszug.


// Vor wenigen Jahren noch hätte man der Moderne alles mögliche zugetraut, nur keine Zukunft. Entweder gab es diese damals — in Erwartung der Apokalypse — überhaupt nicht mehr, oder sie konnte nur gedacht werden als die große Umkehr: weg von der Moderne und ihrem globalen Zerstörungswerk, zurück zur Natur und prämodernen Lebensformen. Wer frivol war und auch angesichts atomarer Hochrüstung und beschleunigter Umweltzerstörung weder in sich gehen noch umkehren wollte, wurde damals — ich spreche von den 80er Jahren, lang, lang ist’s her — eben ein Postmoderner. Das bedeutete, neben einer ironisch gebrochenen Lust an einem neuen Ästhetizismus, neben einem künstlerischen und philosophischen Pluralismus und Eklektizismus, vor allem eine programmatische Entzauberung der Moderne.

Die Moderne, die ihr Pathos aus einem blinden Vertrauen in den Fortschritt bezog, der sich über Aufklärung, Markt und Technik vollziehen sollte, schien an ihre Grenzen zu stoßen. Die Kehrseiten des Fortschritts waren sichtbar geworden, manifestierten sich in den zum Schlagwort geballten „Grenzen des Wachstums“. Und mit dem Kollaps des realen Sozialismus kollabierte nicht nur die letzte Utopie, die sich die Moderne als ihr eigenes Korrektiv entworfen hatte, sondern — so sah es zumindest Robert Kurz im Jahre 1991 — diese selbst. Das Ende der Geschichte war nah.

Rhetorisch zumindest ist diese bislang letzte Krise der Moderne nun überwunden. Modernisierung hat wieder einen guten Klang, und wer sich dieser Modernisierung verweigert oder deren Segnungen bezweifelt, darf wieder, wie in den guten Zeiten der Präpostmoderne, ein Bremser, ein Konservativer oder schlicht ein Reaktionär genannt werden. Trotzdem oder gerade deshalb lohnt vielleicht ein Blick auf diese Krise der Moderne, nicht zuletzt, um schärfer zu sehen, ob und was durch die Modernisierungsemphase der Gegenwart tatsächlich geleistet wird. Max Weber bezeichnete mit der Entzauberung der Welt, dem Kernprogramm der Moderne, die geistes- und kulturgeschichtliche Konsequenz der Moderne, deren innerstes Prinzip, die Rationalität, keinen Zauber — weder den der Dinge, noch den der Natur, schon gar nicht den der Götter — mehr dulden oder zulassen konnte.

Natur und Gesellschaft begreifen

Hinter den Anstrengungen der Moderne stand das Motiv, Natur und Gesellschaft in einer universell überprüfbaren, das heißt jedermann zugänglichen Form zu begreifen und der planenden Vernunft des Menschen zu unterwerfen.

Der komplementäre Begriff zur Entzauberung wäre dann auch der der Beherrschung, ohne daß die heute übliche negative Konnotation dieses Wortes dabei schon mitschwingen muß: Gemeint war damit vorab eine strukturierende Kontrolle der Vernunft, der sich die Natur, das Subjekt und die Formen des Zusammenlebens hätten beugen sollen. Die Krise der Moderne könnte nun auch beschrieben werden als das zunehmende Bewußtsein von der Ambivalenz dieser Modernisierungsprozesse selbst. Ambivalenz meint, daß das Projekt der Moderne seine Eindeutigkeit verloren hat, ohne daß es allerdings jener fatalen Dialektik verfällt, die den Pessimismus der frühen Frankfurter Schule gekennzeichnet hatte. An einigen für die gegenwärtige Entwicklung zentralen Fragen sei diese Ambivalenz, diese Uneindeutigkeit der Moderne illustriert, nicht zuletzt weil die Frage, wie man diese Ambivalenzen erfährt und interpretiert, Grundlage jeder Politik sein muß.

Das Projekt der Moderne, dies gehört zu ihren Fundamenten, hatte immer die Befreiung des Individuums vor Augen.

Sie verstand sich immer als Veranstaltung zur Hervorbringung autonomer Subjekte. Nie sind es im Konzept der Moderne politische Gruppen, Clans, Familien, Ethnien, Religionsgemeinschaften oder soziale Klassen, die idealiter als handelnde Instanzen fungieren, sondern stets individualisierte Personen. Selbstredend gehörte damit die tendenzielle Auflösung dieser vorpersonalen Strukturen als politische Handlungsträger zum Programm der Moderne. //

Weiterlesen im Originalformat auf 331-liessmann-gruene-programmatik (PDF, 5 MB) oder gedruckt im Grünen Archiv!

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