Blick zurück ins Jahr 1993: Der damalige grüne Bezirksrat und EDV-Unternehmer Ronald Schmutzer und Karl Öllinger, Sekretär der „Gewerkschaftlichen Einheit“, im Disput über grüne Sozialpolitik, Wirtschaftswachstum, Grundeinkommen und Lohnnebenkosten. Das Gespräch wurde von Gudrun Hauer für die Zeitschrift „Impuls grün“ geführt.
Impuls: Von den Grünen gibt es wenige Aussagen zur Sozialpolitik. Sie fehlen zur Stillegung der Papierfabrik Hallein, zum Konkurs der Assmann-Betriebe, zur Krise in der Verstaatlichten Industrie, zur zunehmenden Arbeitslosigkeit.
Schmutzer: Das ist eine traditionelle Schwäche der Grünen. Der Zugang zur Grünen Bewegung kam aus zwei Richtungen: Die eine ist die Ökologiebewegung, die traditionell wenig mit sozialen Themen zu tun hatte; der zweite Zugang ist die Kapitalismuskritik. Beide sind zusammengewachsen zur Grünen Alternative. Das ergibt schwarze Löcher. Heute versucht man fehlende Teile aufzuarbeiten. Darüberhinaus scheißt man sich ein bißchen an, weil das Nein zum Wirtschaftswachstum der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln ist. Das ist einer der Gründe, warum uns wenige wählen, weil die Leute das Gefühl haben, die kosten uns nur Geld.
Öllinger: Ich gebe Dir soweit Recht, als es eine traditionelle Schwäche war, und ergänze es insofern, als es heute keine Schwäche mehr sein darf. Keine Aussagen zur Sozialpolitik zu machen heißt, einverstanden zu sein mit dem, was da geschieht. Aber ich kenne die Grünen so gut, nachdem ich auch einer bin, daß sie nicht damit einverstanden sind. Aber sie neigen einem Verständnis von Sozialpolitik zu, das als Armenpolitik beschrieben werden kann. Sozialpolitik ist aber umfassender als Wirtschaftspolitik, weil sie den Anspruch beinhaltet, Gesellschaft zu gestalten. So gesehen haben die Grünen eine große Aufgabe vor sich. In der aktuellen Situation stört mich besonders, daß die seltenen Aussagen zur Sozialpolitik sehr gedankenlos sind. Bei der Enquete zur Arbeitsmarktpolitik im Herbst ist sehr viel an konkreten Forderungen erarbeitet worden, aber mit den Ergebnissen wird nicht Politik gemacht. Stattdessen werden Aussagen gemacht, die Senkung der Lohnnebenkosten sei ein grünes Ziel. Aktuell heißt das: keine Abfertigungen, die Debatte um das 13. und 14. Gehalt aufnehmen, in der Sozialversicherung Abstriche hinnehmen.
Schmutzer: Das ist ein Mißverständnis, Karl! Es hat niemand gesagt, die Lohnnebenkosten sollten im Sinn von Sozialabbau gesenkt werden. Gemeint ist eine Steuerreform, die die Grünen anstreben. Arbeit sollte weniger, Raub der Ressourcen, Energieverbrauch – sollte stärker belastet werden. Eine Senkung der Lohnnebenkosten allein war nie das Ziel.
Öllinger: Auch ich bin der Meinung, Energie muß besteuert werden. Die Grünen können sich aber nicht vor der Aussage drücken, wie sie zur Besteuerung des Kapitals stehen. Diese Frage spielt keine Rolle mehr. Wir sind in der perversen Situation, daß mit vorhandenem Kapital im industriellen und Dienstleistungsbereich wenig Investitionen und viel Spekulation stattfindet, weil da wesentlich mehr Geld zu holen ist.
Es ist schwer, in Österreich ein reales Geschäft zu machen. Es ist leichter zu spekulieren, etwa mit Wohnungen, als in einem realen Geschäft mit Angestellten.
Schmutzer: Es ist aber mit der Argumentation nicht getan, daß man den Arbeitsmarkt fördert, wenn man das Kapital bestraft. Es ist schwer, in Österreich ein reales Geschäft zu machen. Es ist leichter zu spekulieren, etwa mit Wohnungen, als in einem realen Geschäft mit Angestellten.
Öllinger: Das mag eine Frage der Reglementierung, der Gewerbeordnung sein. In anderen Ländern gibt es aber dieselben Phänomene.
Schmutzer: Wir tun immer so, als ob man einzig mit Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Wir müssen aber auch darüber reden, ob es nicht ein menschenwürdiges, arbeitsloses Einkommen geben sollte. Damit meine ich ein Grundeinkommen.
Öllinger: Ich bin Dir dankbar dafür, daß das Thema in die Debatte eingeführt wird, weil ich in der Realität dazu neige, es wegzuschieben. Denn angesichts der aktuellen sozialen Situation sehe ich ein Grundeinkommen nur in der Höhe kommen, wo es nicht menschenwürdig ist. Der soziale Druck führt dann dazu, daß das arbeitslose Einkommen dazu verwendet wird, doch wieder zu arbeiten.
Schmutzer: Um die letzte Hacken zu machen! Von den Menschen könnte ein Druck weggenommen werden. Wer außer uns sollte darüber reden?
Öllinger: Im gewerkschaftlichen Bereich haben wir diese Debatte initiiert. Ich halte es für eine sehr problematische Aussage von Dir, wenn Du sagst, die Grünen müssen sich gegen das Wirtschaftswachstum aussprechen, weil es auch um eine Frage der Qualität des Wirtschaftswachstums geht. Die Situation der Wirtschaftskrise ist für die Leute am schwierigsten zu bewältigen. Die Grünen können sich durchaus zum Wirtschaftswachstum bekennen, aber zum Wachstum in sozialen und ökologischen Branchen.
Schmutzer: Dafür spreche ich mich auch aus.
Sehr kontrovers wurde auch das Thema Ladenschluß diskutiert.
Öllinger: Wir haben mit den Verkäuferinnen mitgelitten. Wir sind gegen die Verlängerung gewesen, weil die Konsumtempel, die rund um die Uhr geöffnet sind, nicht unbedingt eine grüne Perspektive aufzeigen. Alle bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten auf Kosten der Beschäftigten geht, eine Verlängerung der Arbeitszeit ist. Bei den Nachtzeiten gibt es auch ökologische Aspekte. Schließlich haben wir einen vermehrten Nutzen bei den Großzentren. Die Perspektive [muss] weiter sein. Es werden nicht einmal die bestehenden Öffnungszeiten ausgenützt. Mein Problem ist, daß es auf einer ganz anderen Ebene wieder hereinkommt. Daß der Laden nicht mehr das Zentrum von Kauf und Verkauf sein wird; die Geschäfte kannst Du in wenigen Jahren mit Hilfe von Telefon und Computer tätigen, und dort findet jetzt schon jede erdenkliche Aushöhlung von Arbeitszeitvorschriften statt.
Schmutzer: Die Diskussion wird in der Öffentlichkeit falsch geführt. Der eine Mensch darf nicht offenhalten, wenn er will. Und in verschiedenen Regionen gibt es auch verschiedene Bedürfnisse. Aus der Grundidee, daß es nicht so starr ist, wurde eine generelle Ladenschlußdebatte. Die Kleinen sind flexibler und können sich ihre Nischen suchen.
Nach allen internationalen Erfahrungen gehen geänderte Ladenschlußzeiten auf Kosten der Frauen, der Verkäuferinnen. Nachtarbeit hat auch ökologische Aspekte.
Ich will Nachtarbeit nicht fördern. Sie ist gesundheitsschädlich. Um sie zu verhindern, verteuern sie die Gewerkschaften zu Recht.
Öllinger: Ich will Nachtarbeit nicht fördern. Sie ist gesundheitsschädlich. Um sie zu verhindern, verteuern sie die Gewerkschaften zu Recht.
Schmutzer: Mir geht es nicht um das Fördern, sondern um die Möglichkeit des Tuns in bestimmten Bereichen. Ich sehe das als Vorteil für Konsumenten und für Geschäfte in Marktnischen. Für mich haben der Markt und die Marktwirtschaft durchaus ihre Berechtigung.
Öllinger: Es wäre nett, wenn es den Kleinen zugutekommen würde, das ist aber real nicht so. Über die Gehälter im Handel müssen wir anders reden, das hat mit Ladenschluß nichts zu tun.
Auf dem Arbeitsmarkt gibt es einen aufgezwungenen Verdrängungswettbewerb, der sich im Bereich der AusländerInnenbeschäftigung sehr drastisch zeigt. Zugleich wird eine Kampagne gegen AusländerInnenbeschäftigung geführt.
Schmutzer: Rechte Wirtschaftspolitiker verlangen einen höheren Ausländeranteil, weil sie billiger und ausbeutbarer sind. Diese Politik zu entlarven, ist den Grünen nie gelungen.
Öllinger: Die Grünen nehmen nur den Part wahr, seid anständig zu den Ausländern! Das ist wichtig, aber sie sagen nicht, was auch wichtig wäre, nämlich seid anständig zu den armen Inländern. Den Grünen fehlt der Zugang zur Sozialpolitik, und dort, wo sie sie machen, machen sie sie nur in bezug auf die Ausländer. Das Ganze kommt in eine ungute Richtung aus der Sichtweise der an den Rand Gedrängten.
Den Verdrängungswettbewerb gibt es nicht nur bei AusländerInnen, sondern auch bei den Frauen, die zunehmend in ungeschützte Arbeitsverhältnisse und Teilzeitarbeit abgedrängt werden.
Schmutzer: Ein Manko der Grünen ist, daß es keine übergeordneten Gedanken gibt. Wir sind sehr stark im punktuellen Kritisieren, aber dadurch, daß das strategische Grundkonzept fehlt, fehlt uns auch der Zugang zu einer längerfristigen Form der Politik. Das wäre die Aufgabe eines strategischen Zentrums.
Öllinger: Obwohl schon längst bekannt und kritisiert worden ist, daß sich grüne Politik nur am Fernschreiber abspielt, hat sich an diesem Zustand nichts geändert. Ein Beispiel gerade im Frauenbereich ist die Debatte um das zweite Karenzjahr, weil Frauen dann noch schneller den Anschluß an die Berufswelt verlieren. Da hat man bestimmte Argumente bei uns weggestellt.
Schmutzer: Bei uns fehlt es daran, etwas offen zu diskutieren.
Als mögliches Erklärungsmodell bietet sich die Analyse der Mitglieder- und WählerInnenstrukturen an. Hier finden wir eine Tendenz in Richtung bessere Ausbildung, ArbeiterInnen sind kaum vertreten. Fehlt bei sozialpolitischen Themen die Betroffenheit? Haben die Grünen einen sozialarbeiterischen Zugang zur Sozialpolitik?
Den Grünen ist es bis jetzt nicht gelungen, Umweltfragen als Überlebensfragen für die Arbeiter darzustellen.
Öllinger: Den Grünen ist es bis jetzt nicht gelungen, Umweltfragen als Überlebensfragen für die Arbeiter darzustellen. Das hat mit ganz anders gelagerten Existenzproblemen zu tun, hängt auch mit einer anderen Lebensweise zu tun. Die Grünen müssen bestimmte Fragen in ihrer Konsequenz für bestimmte Gruppen deutlicher mitdenken. Da herrscht eine große Sorglosigkeit. Ein böser deutscher Kritiker der Grünen hat gesagt, sie seien die größte Lobby für sich selbst. Sie verstehen ihre eigenen Interessen am besten und am lautesten wahrzunehmen. Arbeiter, die nicht diese laute Stimme haben, aber sie gerne hätten, stört das manchmal, weil sie niemanden haben, der das für sie tut. Sich selbst trauen sie das nicht zu.
Schmutzer: Wenn wir es schaffen, ein grundsätzliches Modell einer Gesellschaft zu entwickeln, die wir wollen, können wir diese Punkte viel besser abklopfen, können wir es besser den anderen vermitteln. Wir werden nicht gewählt werden, weil sie nicht wissen, was wir wollen, und weil wir das selber nicht so genau wissen.
Bedeutet ein Grundeinkommen nicht die Akzeptanz der Zwei-Drittel-Gesellschaft?
Schmutzer: Solange es nicht die Differenzierung zwischen Lohnarbeit und sonstiger produktiver Tätigkeit gibt, lautet die Antwort Ja. Wenn wir ein anderes Gedankenmodell entwickeln können, dann nicht.
Öllinger: Ich bin Dir dankbar, daß Du immer wieder die Visionen einforderst in einer Zeit, wo der Flügelschlag bleischwer ist und wir alles aus der Froschperspektive erleben. In dieser Zeit fehlt auch die Debatte um Arbeitszeitverkürzung. Ein wichtiger Aspekt ist die Aufteilung der Arbeit auf alle. Das bedeutet Verzicht. //