243/366: Uniproteste: 1,74 Quadratmeter pro Student_in

Am 19. Oktober 1987 besetzten Studierende aus Protest gegen ein Bildungs-Sparpaket das Audimax der Universität Wien. In mehreren Städten fanden immer wieder spontane Kundgebungen statt. Am 22. Oktober 1987 hielt der grüne Abgeordnete Karel Smolle eine Rede im Parlament über die „unzumutbaren Zustände“ an den Universitäten, die sich beim Betreuungsverhältnis, den räumlichen Gegebenheiten und den didaktischen Ansätzen zeigten: „Vor 14 Tagen habe ich mir erlaubt, wieder an der Grazer Universität ein Institut zu besuchen. Eigentlich müßte dort das Arbeitsinspektorat, müßten dort diverse sonstige Kontrollinstitutionen und -organe längst jede Art von Betrieb verbieten“. Auszüge aus dieser Rede, die auch auf die Uniproteste eingeht, bringen wir heute im Blog.

Die größte Demonstration im Zuge dieser Proteste fand dann zwei Tage später, am 24. Oktober 1987, statt – mit auf bis zu 40.000 geschätzten Teilnehmer_innen. Nach den Weihnachtsferien waren die Proteste zu Ende.


// Seit Jahren sind die unzumutbaren Zustände an den Universitäten bekannt, seit Jahren verwaltet ein Minister nach dem anderen das Chaos, ohne tatsächlich substantiell einzugreifen und es zu verändern. Jetzt ist das Maß voll, und wir haben wieder Studenten auf der Straße und auch viele Lehrende.  […] Bringen wir es vielleicht auf einen Punkt, und lassen Sie mich am Beispiel einer Hochschule — das Beispiel könnte aber in leicht abgewandelter Form auch für andere Hochschulen in Österreich gelten — die Situation detailliert schildern, dann wird Ihnen klar werden, meine Damen und Herren, wie sehr Sie mit allgemeinen Zusagen, wie sie in den letzten Tagen gemacht wurden und durch die Medien gegangen sind, völlig am Problem vorbeireden.

Lassen Sie mich die Situation an der Wirtschaftsuniversität schildern. Wie gesagt, auch andere österreichische Universitäten könnten da vergleichbare — leider vergleichbare — Probleme vorweisen.

Erstens: Die Zahl der Studenten ist rasant angestiegen. Man kann sagen zum Glück. Wir unterstützen es, daß eine große und breite Anzahl der Bevölkerung Zugang zu den Universitäten hat, ohne Numerus clausus, ohne Beschränkung, weil eben die Bildung eines der wesentlichen Güter darstellt, die zur Bewältigung unserer Zukunftsprobleme beitragen können. Die Wirtschaftsuniversität sieht sich nun einer katastrophalen Situation gegenüber: Ein neues Haus wurde gebaut, ausgelegt für 8 000 Hörer, und heute sind an diesem Haus bereits 20 000 Hörer inskribiert.

Meine Damen und Herren! Das Raumproblem der WU ist katastrophal: 1,74 Quadratmeter je Student, 1,74 Quadratmeter pro Student! Das ist unzumutbar. Und während weiterhin sinnlose Straßen und sinnlose Kraftwerke gebaut werden, sinnlose Abfangjäger gekauft werden, ist hier die Regierung nicht imstande, rasch das Problem, das seit Jahren bekannt ist, zu lösen durch einen Neubau beziehungsweise zum Beispiel in Graz durch Sanierung der baufälligen Gebäude. Vor 14 Tagen habe ich mir erlaubt, wieder an der Grazer Universität ein Institut zu besuchen. Eigentlich müßte dort das Arbeitsinspektorat, müßten dort diverse sonstige Kontrollinstitutionen und -organe längst jede Art von Betrieb verbieten.

Jetzt ein zweites Problem: Die Budgetsituation für die Studenten überhaupt, wiederum am Beispiel der WU: Im österreichischen Durchschnitt werden knapp 80 000 S je Hörer aufgebracht, fast viermal soviel — hören Sie —, fast viermal soviel an der Uni in Zürich. Auch an der Universität Hannover liegen die Zahlen deutlich über den österreichischen Werten. Die Wirtschaftsuniversität ist das einsame Schlußlicht mit knapp 20 000 S pro Student.

Allgemeine Budgeterhöhungen sagen gar nichts. Unser Niveau ist im Vergleich mit den anderen Staaten beängstigend. Was wir immer wieder bei Budgetreden hören — es ist ja absolut erhöht, das sind ja ein paar Prozente mehr —, sagt nicht viel aus. Es geht ja immer um die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel für Wissenschaft und Forschung zum Gesamtbudget.

Eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Abwicklung des Studiums ist eine einigermaßen gesicherte wirtschaftliche Ausgangslage der Studenten. Das durchschnittliche Einkommen der Studenten beträgt etwa 4 000 S. Bei einem Einsatz von durchschnittlich 37 Stunden pro Woche für das Studium bleibt für die Nebenjobs wenig Zeit, also leidet entweder der Nebenjob, der Erwerb, oder es leidet das Studium.

Die Absicherung der Studenten wäre eine prioritäre Aufgabe des Wohlfahrtsstaates im eigenen Interesse, eben zum Erhalt der Wohlfahrt in diesem Lande. Das nennt sich Investition von Humankapital, und so etwas wird sich morgen rentieren.

Ein zweites Beispiel: Die direkte Betreuung von Studenten ist und bleibt wichtig. Auf ein Ordinariat, auf einen Professor kommen an der WU sagenhafte 253 Hörer. Auch das ist eine unzumutbare Situation.

Im österreichischen Durchschnitt sind es immerhin 120 Hörer je Professor. Auch das ist zuviel. Die Uni in Zürich hat zum Beispiel 49 Hörer pro Professor, die Uni Hannover 64 und so weiter. Hier spart der Staat an der falschen Stelle und verabsäumt die Heranbildung von hochqualifizierten Personen. Die ganze Diskussion um Innovation ist sinnlos, wenn wir die Basis — nämlich die Menschen — für diese Innovation nicht heranbilden. (Zwischenruf des Abg. Staudinger.)

Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Wir diskutieren über das, was abschätzig „Massenuniversität“ genannt wird.

Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Sind Sie bereit, einer hoffentlich weiter steigenden Zahl von Studentinnen und Studenten kreative, offene Möglichkeiten für einen Studienbetrieb bereitzustellen? Das heißt: Sind Sie bereit, auch die geeigneten finanziellen Mittel flüssigzumachen, oder versuchen Sie, die Kräfte zu unterstützen, die eine Art sozialen Numerus clausus oder gar einen Numerus selectus einführen wollen? Durch komplizierte Aufnahmebeschränkungen und Aufnahmebestimmungen, Anmeldungsmodi, Riesenschlangen vor Universitätsinstituten und durch den Kampf um Ausbildungsplätze kommt es in der Folge zur Unsolidarität unter den Studenten. Persönlicher Egoismus im Kampf um jeden Studienplatz tritt hervor. Dieser Egoismus schlägt sich dann natürlich anstatt in solidarischem Verhalten in aggressivem Verhalten nieder.

Daher ist das Problem der Massenuniversität unserer Anschauung nach nicht ein Problem der Mängel, sondern ein Problem der Art der Bewältigung. Die Politik dieser Regierung hat auch versagt — davon sind auch die Spitzenverwalter der Universität nicht ausgenommen —, die Universität beziehungsweise deren Organisation umzubauen. Man kann eben ein Institut nicht führen, einen Studienplan nicht abwickeln, unabhängig davon, ob im Durchschnitt zehn oder 300 Hörer vorhanden sind. Das wäre genauso absurd, wie wenn man einen Großbetrieb wie einen Kleinbetrieb organisieren wollte.

Seit Jahren versuchen innovative Assistenten und Professoren, von den Studenten selbst organisierte Veranstaltungen auf die Beine zu stellen und durchzuführen. Es gibt genügend Literatur darüber, wie sich diese Art von Lehrveranstaltungen bewährt hat. Das sind Methoden, nach denen zum Beispiel Höhersemestrige Niedrigsemestrige auf Prüfungen vorbereiten. Aber auch dieses kleine Beispiel aus der Praxis zeigt, daß Ansätze zu Fachtutorien, wie sie an der WU oder auch an der Technischen Universität, an der Universität Wien und Innsbruck existieren, systematisch von seiten uralt eingesessener Professoren und von seiten dieser Politik behindert werden.

[…] Wie ein Hohn klingt mir und dem ganzen grünen Klub ein Satz aus der Regierungserklärung, in dem es heißt — das ist jetzt ein Zitat: „Zukunftsorientierte Wissenschafts- und Forschungspolitik bildet einen zentralen Faktor für eine positive Entwicklung unseres Landes und für die Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben.“ Die Regierung bekennt sich dazu. Ist das nicht tatsächlich ein Hohn, wenn wir wissen, daß Tausende Studenten streiken, daß keine Studienplätze vorhanden sind? //


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