Am 8. April 1990 wurde auf dem grünen Minderheitenkongress in Wien das Programm „Für eine neue Kultur des Zusammenlebens von Minderheiten und Mehrheiten“ beschlossen: „Weil jedes Kind einen Namen braucht, der zu ihm paßt, kann das grüne nicht Minderheitenprogramm lauten, sondern Programm für das Zusammenleben. Es ist also für beide Teile gedacht und ganz besonders für jene aus der Mehrheit, die nach alten Mustern denken. Die Verantwortung aller für das Zusammenleben – das macht den Unterschied, das neue Denken und die Opposition aus“. Das Programm und die Schilderung seiner Entstehung wurden in der Zeitschrift Impuls Grün 3/1990 abgedruckt.
Download des Programms: 151-neue-kultur-zusammenlebens (PDF, 3 MB)
Zur Entstehung des Programms
// Der Arbeitskreis „Minderheiten“, dessen Fortführung unter der Leitung und Koordination von Terezija Stoisits am Programmbundeskongreß beschlossen wurde, hatte gleich mehrere inhaltliche Aufgaben zu bewältigen:
- Die Erarbeitung eines umfassenden „Minderheitenbegriffes“ auf der Grundlage moderner sozialwissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher, bildungswissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher und psychologischer Erkenntnisse. Unter „Minderheiten“ wurden im Arbeitskreis über die sogenannten „autochthonen“ Minderheiten hinaus auch die sogenannten „neuen Minderheiten“ (Gastarbeiter, Flüchtlinge, Asylwerber) verstanden.
- Die Erstellung von gesellschaftspolitischen Leitlinien (Grundsatzprogramm) für eine grün-alternative Politik und Kultur des Zusammenlebens zwischen Minderheiten und Mehrheiten. Die häufig verwendete Formel vom „Minderheitenprogramm der Grünen“ trifft in zweierlei Hinsicht nicht den Kern der Sache. Sie wird einerseits den realen gesellschaftlichen Hintergründen von sogenannten „Minderheitenkonflikten“ nicht gerecht und läßt andererseits die gesellschaftspolitischen Visionen einer alternativen Politik auf diesem Gebiet außer acht.
- Die Festlegung des Inhaltes des sogenannten „Minderheitenmandates“ im Rahmen der Grünen Alternative auf der Basis eines Grundsatzprogrammes sowie die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung eines grün-alternativen Minderheitenkongresses. Auf diesem soll schließlich der Entwurf für ein Grundsatzprogramm diskutiert und beschlossen werden sowie die Wahl der Kandidatinnen für die Besetzung des „Minderheitenmandates“ in der nächsten Legislaturperiode getroffen werden.
Die Bedeutung dieser Diskussionen im Arbeitskreis lag insbesondere darin, daß sich die Grüne Alternative mit einem klaren Konzept im Sinne interethnisch-interkultureller Beziehungen von den nationalistischen (auf Trennung der Volksgruppen ausgerichteten) Tendenzen abheben muß und kann. Diese Tendenzen haben sich in den letzten Jahren europaweit verstärkt und finden fruchtbaren Boden auch in Österreich. Die Aktualität und Dringlichkeit dieser Diskussion ergab sich auch aus den teils sehr heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Volksgruppen und auch innerhalb der Grünen Bewegung, die nach der Zustimmung eines Teiles der Nationalratsabgeordneten der Grünen zum „Minderheitenschulgesetz für Kärnten 1988“ (Pädagogenmodell-Trennungsmodell) entbrannt waren. In dieser Diskussion geht es längst nicht mehr um ein Detail, sondern um den Kern der Frage: welche Richtung nimmt die künftige grünalternative Politik in der Frage der Beziehungen zwischen Minderheiten und Mehrheiten. Hier stehen sich – bei weitem nicht nur im Rahmen der Grünen – zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte entgegen: ethnopolitische Trennung einerseits, interethnisch, solidarische Gesellschaftsvisionen der wechselseitigen interkulturellen Beziehungen andererseits.
Das vorliegende Programm stellt eine Absage an jede Form von Nationalismus bzw. Ethnozentrismus dar und kann als Leitlinie für die Entwicklung einer Politik im Sinne moderner, interkultureller Konzeption verstanden werden. Klassische Volkstums- bzw. Assimilationspolitik bzw. „modernisierte“ ethnopolitische Trennungsstrategien vertragen sich mit diesem Programm nicht. //